Wenn später einmal die Geschichte der Eurokrise niedergeschrieben wird, kann es gut sein, dass der Name Pedro Cruz Villalón an prominenter Stelle vorkommen muss. Cruz Villalón ist Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Wenn die Richter über ein Urteil beraten, spielen seine Gutachten eine entscheidende Rolle. Am Mittwoch hat Villalón seine Empfehlung in einem Rechtsstreit über die Antikrisenpolitik in Europa abgegeben. Ohne die juristische Entscheidung vorwegnehmen zu wollen, lässt sich bereits sagen, dass Villalón der Demokratie einen guten Dienst erwiesen hat. Er hat eine wichtige Debatte über die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) in der Krise neu belebt.

Die EZB ist in den vergangenen Jahren zu einer der wichtigsten Organisationen im Kampf gegen die Eurokrise geworden. Dabei ist die Notenbank eine vergleichsweise intransparente Institution. Die Beratungen der Zentralbank sind im Gegensatz zu Parlamentsdebatten nicht öffentlich. Notenbanker stellen sich nie im selben Ausmaß öffentlichen Diskussionen, wie das Politiker tun. Das Mandat verbietet explizit – anders als bei den meisten Behörden – jede politische Einmischung von außen. Zentralbanken fungieren also als ein demokratisch legitimierter Geheimklub. Dies alles ist im Sinne einer unabhängigen Notenbank, die über Zinsen und Inflation wachen soll, sinnvoll. Doch wenn die EZB versucht, Wirtschaftspolitik zu machen, wird ihre mangelnde Transparenz zum Problem. Und genau damit, also Politik zu machen, hat die EZB in den vergangenen Jahren begonnen.

So war die Zentralbank neben der EU-Kommission und dem Währungsfonds Teil der Troika. Diese hat die Hilfsprogramme für Griechenland, Portugal und Irland ausgehandelt und überwacht. Die EZB verlangte also von Athen, Lissabon und Dublin Reformen im Finanzsystem, am Arbeitsmarkt, bei Pensionen. Wer zuwiderhandelte, dem drohte die Troika mit Entzug der Notkredite.

Dies sieht Gutachter Cruz Villalón als Mandatsüberschreitung seitens der EZB. Die Notenbank soll im Wesentlichen nicht mehr Teil der Troika sein dürfen. Das wäre ein erster wichtiger Schritt, um für eine Entflechtung zwischen Aufgaben der Politik und jenen der EZB zu sorgen. Aber sogar wenn der EuGH der Meinung des Juristen folgt, wäre damit das Transparenzproblem nicht gelöst.

Denn selbst Staaten, die keine direkten Hilfen bekamen, erhielten Auflagen. So schrieb die EZB 2011 an die spanische Regierung einen Brief mit Reformwünschen. Eine Forderung lautete, dass Spanien teure Abfindungen im Kündigungsfall abschaffen müsse. Damit sollte der Arbeitsmarkt liberaler werden. Die implizite Drohung bei Nichterfüllung der Wünsche war, dass die EZB ansonsten Madrid die Unterstützung am Markt entzieht. Auch Rom erhielt ein ähnliches Schreiben. Vielfach folgten Regierungen dem Wunsch der Notenbanker.

Dass die EZB Briefe verschickt und Wünsche formuliert, ist legitim. Sie hat ein Recht, im Gegenzug für ihr Geld Anliegen zu deponieren. Aber die Bürger und Parlamentarier in den betroffenen Ländern haben nicht gewusst, dass die Schreiben existieren. Die Briefe waren geheim. Auf dieser Grundlage können keine fundierten Entscheidungen getroffen werden. Ein wichtiger Mitspieler in der Krisenpolitik wie die EZB darf nicht im Hintergrund agieren. Sie muss mit offenen Karten spielen. (András Szigetvari, DER STANDARD, 15.1.2015)