Die Märkte jubeln. Die Europäische Zentralbank hat ihre Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern deutlich übertroffen. Mehr als eine Billion Euro pumpt sie in Anleihen - auch in solche angeschlagener Euroländer -, um eine angeblich drohende Deflation abzuwenden. Macht 3500 Euro pro Bürger, der sich davon aber nichts kaufen kann. Ganze sechs Jahre nach dem Einstieg der US-Notenbank in das sogenannte Quantitative Easing greift nun die Euro-Zentralbank zu jenem Weichspüler, dessen Wirkung fraglich ist – von dem aber ein beträchtliches Risiko ausgeht.

Nein, hier soll nicht die Angst der Deutschen vor einer Hyperinflation beschworen werden. Auch die Warnungen vor einer verbotenen Staatsfinanzierung durch die EZB fallen beim nördlichen Nachbarn reichlich übertrieben aus. Durch den Ankauf höher verzinster Anleihen der Krisenländer werden Deutschland, Österreich und andere Kernländer der Währungsunion über die Gewinnabfuhr im Eurosystem voraussichtlich einen ordentlichen Reibach machen.

Rechtstheoretisch mag eine Debatte über ein Überschreiten des EZB-Mandats berechtigt sein, praktisch ist sie irrelevant. Da spielt vielmehr eine Rolle, dass die EZB mit ihren Interventionen eine gefährliche Verzerrung der Risikosteuerung bewirkt.

Renditen von Ländern, deren Schuldenrucksack gefährlich schwer geworden ist, sinken. Italien beispielsweise, dessen Verschuldung die Marke von 130 Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten hat, bekommt gegen Zinsen von 1,6 Prozent Kredit. Vergessen sind offenbar die Diskussionen über weitere Pleiten von Euroländern, deren Verschuldung nicht nachhaltig ist. Die Minizinsen verleiten zu weiteren Schuldenexzessen, die ein böses Ende haben können.

Die EZB eilt aber nicht nur den Staatshaushalten zu Hilfe, sondern auch den Banken. Sie fahren dank der unersättlichen Nachfrage der Notenbanken satte Gewinne ein, wenn sie ihre Anleihen bei ihnen deponieren. Ob damit die nach wie vor klaffenden Löcher in den Bankbilanzen gestopft oder kaschiert werden?

Die wohl gefährlichste Störung vernünftiger Risikokalkulation verursacht die EZB aber an den Finanzmärkten. Ob Aktienkurse, Immobilienpreise oder Schuldverschreibungen und diverse toxische Derivate darauf: Sie wurden von der Geldschwemme in schwindelnde Höhen gehievt. Wird Mario Draghi dann auch die Scherben nach einem drohenden Crash zusammenkehren?

Der EZB-Chef kennt diese Gefahren genau, hält aber das stagnierende Preisniveau angeblich für so akut, dass er sie in Kauf nimmt. Dabei wird einerseits der dämpfende Effekt der gesunkenen Energiepreise ausgeblendet, andererseits der Umstand, dass die interne Abwertung in den Krisenländern als Folge des Verlusts der Wettbewerbsfähigkeit angestrebt wurde. Es handelt sich weder um eine bedrohliche noch um eine sonderlich überraschende Entwicklung.

Dass die Notenbank nun dennoch ihr letztes Pulver verschießt, hängt noch über eine andere Verbindung mit den Staatsschulden zusammen. Die würden bei Preisflaute nämlich relativ zu den Haushaltseinnahmen deutlich ansteigen. Die Zentralbank entpuppt sich somit zunehmend als Handlanger der Regierungen und Märkte. Ob auf der anderen Seite Wertpapierkäufe der EZB realwirtschaftliche Impulse bringen, steht in den Sternen. Aber das ist ohnehin nebensächlich. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 23.1.2015)