Chanel: Bauchfrei durch den Papierblumengarten spazieren
Ein Gewächshaus mit einem Garten aus weißen Papierblumen war am Dienstag das Setting der Chanel-Couture-Show in Paris. Lagerfelds Liebling Baptiste Giabiconi durfte den Gärtner spielen: Bevor es losging, kam er mit riesigem Strohhut und großer Gießkanne bewaffnet auf den Laufsteg, um noch schnell die Blumen zu "wässern". Mit seiner kleinen Einlage brachte er nicht nur die prominenten Damen in der ersten Reihe, Kristen Stewart, Alice Dellal und Vanessa Paradis, zum Kichern. Als schließlich die Musik ertönte, öffneten sich die Papierknospen und erblühten in frühlingshaften Farben. Frisch und farbenfroh war auch die Kollektion.
Knallige Looks in Orange, Blau, Gelb, Rosa und Grün eröffneten die Show. Danach folgten sanfte Pastelltöne und grafische Schwarz-Weiß-Looks. Die für Chanel obligatorischen Tweed-Kostüme kamen diesmal mit neuer Silhouette: als wadenlange Röcke mit bauchfreien Oberteilen. Eine etwas eigenartige Mischung aus jung und damenhaft, die aber bestens funktionierte. Ebenfalls neu waren die langen, herunterhängenden Gürtel, breitkrempige Hüte mit Tüllverzierung oder Strick-Beanies mit Netzschleier vor den Augen.
Dior: Retro-Reise in die Zukunft
Die diesjährige Couture-Kollektion von Raf Simons für Dior war futuristisch und retro zugleich. Petticoat-Röcke erinnerten an die 50er-Jahre, A-linienförmige Mini-Kleider und Overknee-Stiefel an die 60ies und wilde Farbkombinationen an die 70ies. Gleichzeitig wirkten die glänzenden Latex-Materialien, psychedelisch bedruckten Catsuits, silbern gestreiften Overalls und transparenten Mäntel wie eine Reise in die Zukunft. Auch wenn Raf Simons damit das Rad nicht neu erfunden hat, mit seinen gewagten Farbkombinationen, modernen Schnitten und dem Spiel mit ungewöhnlichen Materialien hat er es geschafft, der Marke seinen ganz eigenen Stempel aufzusetzen und das Haus Dior zu einem der modernsten Labels der Haute Couture zu machen.
Versace: Schlichte Hosen und ein Bling-Bling-Kleid
Für ihre Verhältnisse schlicht war die neue Haute-Couture-Kollektion von Donatella Versace, deren Präsentation wie immer in der prächtigen Pariser Industrie- und Handelskammer in der Nähe des Arc de Triumph stattfand. Eine Serie aus unifarbenen, präzise konstruierten Hosenanzügen, die aus einem asymmetrischen Bustier und einer hautengen Schlaghose bestanden, eröffneten die Show. Kurze Bomber-Boleros gaben den Looks sogar mitunter eine fast sportliche Note. Später folgte aber dann doch noch ein wenig Bling-Bling, wie man das aus dem Hause Versace kennt. Der Höhepunkt war ein ganz und gar aus Strass-Steinen gefertigtes langes Kleid, das so funkelte und strahlte, dass sich die prominenten Gäste in der ersten Reihe, darunter Schauspielerin Goldie Hawn und Tochter Kate Hudson, die Augen reiben mussten.
Schiaparelli: Surrealistische Codes ohne Chefdesigner
Nachdem Marco Zanini überraschend nach nur zwei Saisonen das Haus Schiaparelli wieder verlassen hatte, entstand die neue Kollektion in Zusammenarbeit mit dem französischen Fotografen Jean-Paul Goude, der die Show unter das Motto "Sound & Vision" stellte. Musikalisch wurde die Show von einem Chor begleitet, der in Fenstern oberhalb des Laufstegs positioniert war und eine Version des Boléro von Maurice Ravel zum Besten gab.
Visuell blieb die Kollektion den surrealistischen Codes von Elsa Schiaparelli treu: ein smaragdgrünes Trompe-l’oeil-Kleid war am Rücken mit zwei Händen bedruckt, die das Collier auf der Vorderseite von hinten zuzumachen schienen, eine lange Harlekin-Robe war in der Taille mit kleinen Spiegeln verziert, ein himmelblaues Kleid über und über mit Herzen aus bunten Plastik-Scheiben bestickt. Alles in allem eine starke Kollektion – und der Beweis, dass ein Atelier auch ohne Chefdesigner zu Höchstform auflaufen kann.
Yiqing Yin: Neue Generation ohne viel Pomp
Die franco-chinesische Designerin Yiqing Yin gehört zur neuen Generation der Haute Couture und zeigte eine sinnliche und gleichzeitig zurückgenommene Kollektion, ganz ohne pompöse Broderien, Perlen und Pailletten, die man sonst aus der hohen Schneiderkunst kennt. Die schlichte Farbpalette von Hellgrau bis Schwarz und ein wenig Petrol, lenkte die Aufmerksamkeit auf das feine Spiel mit Materialien und kunstvollen Drapierungen. Ein kurzer Kaschmir-Blazer, der wie zufällig über die Schultern geworfen und lose zusammengebunden wirkte, war in Wahrheit bis ins letzte Detail konstruiert. Einen seidenen Nylon-Sweater unterzog Yin mit silbernem Netzstoff, so dass es wie ein Print aussah. Das Übereinanderlegen unterschiedlicher Schichten ergab einen interessanten Moiré-Effekt, der auf einem taillierten Jackett nassglänzend schimmerte und zu einem wehenden Seidenrock getragen wurde.
(Estelle Marandon, derStandard.at, 27.1.2015)