Mark Rowlands, Läufer und Philosphieprofessor

Laufbücher sind in der Regel nicht mein Ding. Deshalb war ich skeptisch, als mir die Kollegin das zweite Buch von Mark Rowlands rüber reichte. Und meinte, dass das doch ganz gut passen müsste. Weil doch Bücher und laufen zwei wichtige Bestandteile meines Alltages seien - und sie sich ohnehin schon länger gefragt habe, was davon jetzt eigentlich Job und was Leidenschaft sei. Und weil ich - in letzter Zeit eh viel zu selten - darüber hinaus ja auch ein Vertreter der Gattung "Läufer mit Hund" sei … und so weiter.

In jedem Fall, sagte die Kollegin, während sie das Buch auf meinen Tisch knallen ließ, sei sie ziemlich sicher, dass dieses Buch und ich gut zusammen passen würden. Schließlich gäbe es da nicht nur beim Punkt "Laufbegleitung" Parallelen. Weil… aber das solle ich gefälligst selbst rausfinden. Lesend rausfinden.

Wie gesagt: Ich war skeptisch. Weil ich mit Laufbüchern nicht immer happy bin. Klar, da gibt es Leute wie Haruki Murakami, der in seinem "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede" (Dumont) nicht nur schöne Geschichten (ja, ich mag Murakami) erzählt, sondern auch die Parallelen zwischen Langstreckenläufern und Schriftstellern bei Disziplin, Ausdauer und Strategie schön und anschaulich beschreibt. Da gibt es Leute wie Ilija Trojanow, auf dessen Buch über den Versuch, 1.001 olympische Sommerdisziplinen selbst auszuprobieren, ich mich schon freue, seit er mir einmal beim Laufen davon - und eben vom Laufen - erzählt hat.

Und da gibt es außerdem noch Autoren wie … Aber egal: Ich will ja hier keine Laufleseliste zusammenstellen, sondern wollte nur über Mark Rowlands reden. Und erklären, wieso ich skeptisch bin, wenn es um Laufbücher geht.

Weil ich, kurz gesagt, einerseits ein Problem mit Missionaren habe. Und andererseits Dinge, die ich einfach gerne mache, nicht zwingend so wissenschaftlich fundiert erklärt bekommen muss, dass ich vor lauter Fachwissen den Blick auf den Spaß verliere. Und weil ich drittens auch nicht der Typ Mensch bin, der auf die gängige "Du schaffst das!"-Motivationsliteratur so abfährt, wie das die Ratgeberschreiber von ihren Lesern erwarten: Ich glaube nicht daran, dass mir jemand, mit dem ich persönlich noch nie gesprochen habe, mit einem Patentrezept per Buch ganz individuell das Leben retten oder meine Performance schlagartig um ein paar hundert Prozent verbessern kann. Nicht nur beim Laufen, überall.

Foto: Thomas Rottenberg

Philosophieprofessor statt Leistungssportler

Genau deshalb, meinte die Kollegin aber, solle ich Mark Rowlands eine Chance geben. Weil der eben ganz anders übers Laufen schreibe: Er sei nämlich Philosophieprofessor und kein Leistungssportler. Und schreibe genau so übers Laufen. Und habe, das nur nebenbei, eh längst bewiesen, dass er wirklich schreiben könne. Aber das wisse ich vermutlich ohnehin - denn den Bestseller "Der Philosoph und der Wolf" (Rogner & Bernhard) hätte ich ja wohl gelesen.

Hatte ich nicht. Und jetzt, nachdem ich "Der Läufer und der Wolf" (Rogner & Bernhard) durchhabe, weiß ich, dass das ein Fehler ist. Denn der an der Universität von Miami lehrende Philosoph schafft es, atypisch über das Laufen zu schreiben. Eben weil er keiner dieser Autoren ist, die glauben, mich zum Laufen überreden zu müssen, mir das Laufen als solches zu erklären versuchen, oder mir einreden wollen, warum ich wie (anders) zu laufen hätte, um mich selbst zu verbessern oder neu zu erfinden: Rowlands erzählt vom Laufen als Metapher. Als Metapher für etwas, was sich jeder und jede selbst definieren und erklären muss - obwohl es dennoch möglich und zulässig ist, lange Läufe auch als Metapher für das Leben zu sehen.

Er inszeniert sich dabei keine Sekunde lang als einen auch nur annähernd überlegeneren oder souveräneren Athleten, als irgendein anderer Sportler, dem man egal wo im Alltag begegnet: Rowland ist keiner dieser asketisch-drahtigen Typen, die alles richtig machen und weder Motivations- noch Gesundheitsprobleme kennen. Im Gegenteil: Da schreibt einer mit bissig-britischer Selbstironie über Leiden und Leidenschaft und all die Fehler und Unsicherheiten, die ihn auf seinem Weg begleiten.

Evolutionäre Zusammenhänge

Vom Schmerz und den kleinen Lügen und Tricks, die er anwendet, um seinem Körper zu erklären, dass er das, was er ihm aufoktroyiert tatsächlich mag. Von nicht auskurierten Muskelfaserrissen eines latent übergewichtigen Endvierzigers beim Start zu seinem ersten Marathon und dem Dilemma, das eigene Älterwerden - auch - sportlich zu akzeptieren. Von der Freiheit, die das Laufen dennoch gibt - weil es jene Erschöpfung und Leere schafft, die dem Kopf den Spielraum gibt, Lösungen und Ideen zuzulassen, die sonst keine Chance hätten, sich ihren Weg zu bahnen.

Von evolutionären Zusammenhängen zwischen bei der Jagd zu laufen beginnenden Menschen, dem dadurch erhöhten Eiweißbedarf und dem so begünstigten Größenwachstum des Gehirns. Vom taktisch-nachhaltigen Vorausschauen und Konzentrieren des lange laufenden Jägers auf ein bestimmtes Ziel - also die Beute - im Vergleich zum kurzen, unmittelbaren Erfolgsdenken des Jagdsprinters.

Unumstößliche Wahrheiten

Vom Wort "Midlife Crisis". Vom Hype der langen Volksläufe. Und vom Grunddilemma des amerikanischen Glaubens an die permanente Optimierbarkeit von allem, was man tut: "Du kannst jeden Tag besser werden, als du gestern warst, und es gibt nichts, was du nicht erreichen kannst, du musst es nur wollen … Ich mag diesen Glauben an sich selbst, und dass sich breite Schichten der amerikanischen Bevölkerung ausdrücklich zu ihm bekennen, finde ich rührend und aufrichtig. Das einzige Problem, da bin ich mir ziemlich sicher, besteht darin, dass er falsch ist. Die meisten Dinge sind für die meisten Menschen unerreichbar", analysiert Rowlands – und stößt seine Leser dann mit der Nase auf das, was sie vermutlich nicht hören wollen: "Die eine unumstößliche Wahrheit des Lebens ist, dass wir abbauen."

So etwas in ein Laufbuch zu schreiben grenzt an Häresie. Aber es tut genau deshalb gut, es zwischen all jenen Texten und Anleitungen zu lesen, die jedem und jeder erklären wollen, dass es nur eine Frage von Konsequenz, Härte, Disziplin und was weiß denn ich ist, noch schneller noch öfter noch weiter zu kommen – und dabei so unverwundbar zu sein, wie man gefälligst dreinzuschauen hat. Allein dafür gebühren dem Waliser in Miami Dank und Anerkennung.

Von Platon bis Schopenhauer

Dass er es darüber hinaus auch noch mühe- und schwerelos schafft, beim Laufen den Bogen von Platon und Aristoteles hin zu Sartre, Heidegger und Schopenhauer zu spannen, ist fein und unterhaltsam - gehört aber wohl zum Handwerk eines Philosophieprofessors.

Doch beim Laufen rezitiert Rowlands keineswegs die großen Geister. Mitnichten: Mehr "down to earth" als der mittlerweile 52-Jährige kann man eigentlich nicht per pedes unterwegs sein. Rowlands läuft mit Hunden. Genauer: Mit seinen zwei Hündinnen - und seinem Wolf. Denn die sind es, die aus dem Mann, der als Bub in Wales (fast) Sprinterkönig war und dann, wie so viele, den Sport aus den Augen verloren hatte, einen Dauerläufer gemacht haben.

Denn die Geschichte von Rowlands' Laufen ist auch die (wunderschöne) Geschichte über seine Beziehung zu seinem "Hauswolf" Brenin: Den ließ er sich als kuschligen Welpen einreden. Doch weil der Wolf das Alleinsein daheim nicht aushielt - und, so Rowlands, alles zerlegte, was "nicht an der Decke angeschraubt" war, gab es für den Halter nur zwei Dinge zu tun: Den zahmen Wolf überallhin mitnehmen (also auch auf die Uni oder zu Dates und Parties). Und das Tier beschäftigen. Also mit ihm zu laufen. Täglich.

Aus diesen beiden Geschichten wurden zwei Bücher. In einem geht es auch ums Laufen. Aber in beiden - das unterstelle ich einmal, obwohl ich nur eines gelesen habe - geht es in Wirklichkeit um etwas ganz Anderes: Darum zu erkennen, was Wert hat. Was zählt. Rowlands erzählt von Wölfen und Menschen. Vom Laufen auf walisische Berge und durch den morgendlichen Stau in Miami. Er zitiert Camus und Schopenhauer - und gibt dann eine einzige Antwort. Die, dass man das Antwortenfinden nicht delegieren kann. Nicht auf die Frage, warum man eigentlich läuft. Und schon gar nicht auf Fragen zu Dingen, die vielleicht wirklich wichtig sind. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 29.1.2015)