"Ich werde nicht sagen: Es müssen 300 Quadratmeter Holocaust und 200 Quadratmeter für den Ersten Weltkrieg sein", so Kulturminister Josef Ostermayer.

Foto: Cremer

"Historiker sind diejenigen Wissenschafter, die das Material für Ausstellungen oder Museen dieser Art liefern. Sie haben aber keine Kompetenz im Ausstellungsbereich", sagt Rektorin Eva Blimlinger.

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STANDARD: Braucht Österreich ein Haus der Geschichte?

Ostermayer: Es ist notwendig, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, weil man aus der Geschichte lernen kann. Jetzt ist die große Chance, ein Haus der Zeitgeschichte zu realisieren, wie es schon seit Jahren diskutiert worden ist und auch in vielen Regierungsprogrammen stand. Es bietet sich auch die Möglichkeit, alte Schätze, die man zum Beispiel in der Neuen Burg hat, bekannter zu machen.

Blimlinger: Man kann aus der Geschichte nicht lernen, man kann sich nur damit beschäftigen und historische Verläufe und Ereignisse dazu nützen, um die Gegenwart besser zu verstehen.

STANDARD: Frau Blimlinger, Sie sind keine Freundin dieses neuen Museums?

Blimlinger: Mich überzeugt das Konzept nicht. Es geht von einer nationalen Geschichtsschreibung aus. Schon das Jahr 1848, das als Eckpunkt für das Museum immer genannt wird, erschließt sich mir nicht. Ist damit der Beginn der Regierungszeit Kaiser Franz Josefs gemeint? Das Revolutionsjahr 1848 ist für Ungarn oder Tschechien relevant, für Österreich wäre es, wenn, 1867, als das bis heute gültige Staatsgrundgesetz in Kraft getreten ist. Der wesentliche Teil wird doch das 20. Jahrhundert sein.

Ostermayer: Ich glaube sehr wohl, dass man aus der Geschichte lernen kann. Wir haben 2008 eine Finanzkrise gehabt. Damals haben namhafte Menschen, wie der US-Wirtschaftswissenschafter Paul Krugman, gewarnt, dass das Gleiche wie 1929 passieren könnte, wenn wir nicht handeln. Wir haben gehandelt. Das ist Lernen aus der Geschichte.

STANDARD: Ist es nicht grotesk, ein Weltmuseum zu verkleinern, um dann Österreich groß zu präsentieren?

Ostermayer: Es ist kein Gegensatz, sich mit den Kulturen der Welt auseinanderzusetzen - und mit der eigenen Geschichte. Ich bin für ein Sowohl-als-auch.

STANDARD: Eine Eingliederung kommt für Sie nicht infrage?

Ostermayer: Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Man kann kooperieren, aber soll nicht integrieren. Das Haus der Kulturen finden Sie aber eh ganz gut, Frau Blimlinger?

Blimlinger: Ja, wenn Sie das Haus der Geschichte darin integrieren, dann kann das Weltmuseum zu einem Kulturenmuseum werden.

Ostermayer: Da bin ich dagegen.

STANDARD: Sie wollen tatsächlich ein Nationalmuseum?

Ostermayer: Wichtig ist, dass es einen Blick von außen auf die österreichische Zeitgeschichte geben wird. Es soll eine Plattform sein, die viele Materialien aus unterschiedlichen Bereichen zeigen soll. So werden Inhalte des Staatsarchivs, der Mediathek des Technischen Museums, des ORF-Archivs oder des Filmmuseums mitgenutzt werden.

STANDARD: Gibt es inhaltliche Vorgaben?

Ostermayer: Ich werde nicht sagen: Es müssen 300 Quadratmeter Holocaust und 200 Quadratmeter für den Ersten Weltkrieg sein. Ich habe nicht vor, der Museumsdirektor zu werden. Es wird ja auch keine Ausstellung konzipiert werden, die ewig gleich bleibt. Aufgrund der Vorarbeiten war immer 1848 ein Thema, aber der Schwerpunkt wird aus meiner Sicht im zwanzigsten Jahrhundert liegen.

STANDARD: Österreich kennend: Es gibt kontroversielle Themen in der Geschichte, wie die Zeit des Austrofaschismus. Ist da nicht ein Parteien-Hickhack vorprogrammiert?

Ostermayer: Ich habe in der vorherigen Legislaturperiode ein Gesetz verhandelt, in dem es um die Rehabilitierung der Opfer genau dieser Zeit geht.

STANDARD: Die Rolle von Engelbert Dollfuß wird in der ÖVP trotzdem noch anders gesehen.

Ostermayer: Beim Gesetz haben wir uns auf den Begriff "Unrechtsregime" geeinigt und eine Formulierung gefunden, die auch bei der ÖVP für Entkrampfung gesorgt hat. Wir haben mit Oliver Rathkolb einen angesehenen Historiker beauftragt, der ein internationales Gremium zusammenstellen wird. Bis Sommer wird es das Konzept geben.

Blimlinger: Ein Gesetz ist aber kein Museum. Bei Geschichte geht es darum, wie bestimmte Ereignisse in unterschiedlichen historischen Abschnitten gedeutet werden. Ich spreche jetzt gegen meine eigene Zunft. Historiker sind diejenigen Wissenschafter, die das Material für Ausstellungen oder Museen dieser Art liefern. Sie haben aber keine Kompetenz im Ausstellungsbereich. Nicht umsonst gibt es Museologen wie Claudia Haas oder Gottfried Fliedl. Schauen Sie sich die letzten Ausstellungen in der Schallaburg, wie etwa jene zum Ersten Weltkrieg, an. Da ist nie das Bild oder das Objekt zentral. Es sind immer nur Illustrationen des Textes. Historiker kommen in der Regel aus einem schreibenden Zusammenhang. Alles, was Sie jetzt aufgezählt haben, ist Flachware. Es stellt sich die Frage, ob es klug ist, in einer Zeit, wo Kinder und Jugendliche medial derartig fokussiert sind, sich auf diese Darstellungsart zu verlassen.

Ostermayer: Wenn Sie Claudia Haas erwähnen: Rathkolb wird auch mit jenen Personen und Institutionen Kontakt aufnehmen, die in den letzten Jahren Vorschläge zu einem Haus der Geschichte gemacht haben. Ich habe mir - nicht nur in Österreich - viele auf Geschichte bezugnehmende Ausstellungen angesehen, auch die von Ihnen erwähnte in der Schallaburg. Und ich bin überzeugt, das geht.

Blimlinger: Ich brauche Personen mit einer anderen Kompetenz. Es geht nicht um eine Geschichtserzählung, die Historiker mithilfe von Akten machen. Das machen sie in ihren wissenschaftlichen Arbeiten. Sie haben aber nicht die Kompetenz, das Medium Ausstellung zu bespielen.

Ostermayer: Rathkolb hat jetzt die Aufgabe, gemeinsam mit den anderen Experten bis Mitte des Jahres ein Konzept zu erarbeiten - unter Einbindung von Museumsexperten, wie Claudia Haas. Hier geht es noch nicht um die Ausstellungsgestaltung, sondern um ein Konzept für ein Haus der Geschichte als interaktiver Erinnerungsort. Ganz kurz zur Schallaburg: Die letzte Ausstellung war jedenfalls extrem gut besucht.

Blimlinger: Das kann ja kein Kriterium sein.

Ostermayer: Aber, bitte! Eine Ausstellung, die niemand besucht, kann auch nichts vermitteln. Eine, die gut besucht ist, schon.

Blimlinger: Es kann doch nicht sein, dass man sagt: Je mehr Besucher, desto gerechtfertigter ist ein Haus der Geschichte.

Ostermayer: Da haben Sie recht.

Blimlinger: Bitte, die Ausstellungen in der Schallaburg werden von der Tourismusindustrie bespielt. Ihr Zugang ist doch kein touristischer, oder?

Ostermayer: Richtig, ist es nicht.

STANDARD: Gibt es ein Vorbild, an dem Sie sich orientieren?

Ostermayer: Es gibt viele Beispiele: In Brüssel gibt es das Europäische Haus der Geschichte. Aber wir werden nichts kopieren. Das würde nicht funktionieren.

Blimlinger: Um eine öffentliche Diskussion führen zu können, sollten Sie das Konzept von Claudia Haas zum Haus der Geschichte aus dem Jahr 2008 endlich veröffentlichen - das wird ja unter Verschluss gehalten und die Veröffentlichung pönalisiert.

Ostermayer: Wenn es keinen rechtlichen Grund gibt, der dagegenspricht, habe ich nichts dagegen. Das wird gerade geprüft.

STANDARD: Sie haben mehrfach den Historiker Rathkolb erwähnt. Warum wurde seine Funktion als Leiter des wissenschaftlichen Beirats nicht ausgeschrieben?

Ostermayer: Rathkolb ist ja nicht der Direktor des Museums. Diese Funktion wird natürlich zeitgerecht ausgeschrieben. Für die jetzige Aufgabe war das nicht nötig.

STANDARD: Warum dann Rathkolb?

Ostermayer: Weil er ein anerkannter Experte ist und den Konnex zur Nationalbibliothek hat, da er im Kuratorium sitzt, weil er relativ früh Vorschläge gemacht hat und weil ich ihn auch in der Vergangenheit in vielen verschiedenen Bereichen erlebt habe und sein profundes Wissen kenne.

Blimlinger: In Deutschland hat das Haus der Geschichte mit Bonn, Berlin und Leipzig ja drei Standorte. Davor gab es darüber eine sehr breite Diskussion. Dann kam der Fall der Mauer, und Helmut Kohl hat mehr oder weniger dieses Nationalmuseum dekretieren lassen. Er hat das ähnlich beauftragt, wie Sie jetzt. Letztlich ist das immer der gleiche Vorgang. Man setzt eine Person ein und sagt: Der sucht sich schon die richtigen Leute aus. Das ist genau jener Punkt, wo die Skepsis vieler ansetzt: eine staatlich verordnete, nationale Geschichtsschreibung.

Ostermayer: Zu unterstellen, dass ich Professor Rathkolb, den US-Historiker Charles S. Maier und all den anderen verordnen kann, wie Geschichtsschreibung aussieht, das ist unverschämt - nämlich diesen Persönlichkeiten gegenüber und mir.

Blimlinger: Ihre Idee ist es doch, zu sagen: geschichtsträchtiger Ort/ Hofburg/Haus der Geschichte. In dieser Linie ist eine Nationalgeschichtsschreibung insinuiert.

Ostermayer: Es gehört zur Aufgabe der Politik, Entscheidungen zu treffen. Jetzt habe ich die Chance gesehen, das Haus der Geschichte zu ermöglichen, und daher habe ich entsprechende Veranlassungen getroffen. Ihr Argument führt zur Frage zurück: Braucht man überhaupt ein Haus der Geschichte? Kann man aus der Geschichte lernen? Ich bin der Ansicht, das geht - und das Museum ist ein Beitrag dazu. Daher werde ich viel Energie investieren, um dieses Projekt auch in die Realität umsetzen zu können.

Blimlinger: Indem andere Bereiche vernachlässigt werden. Man verknappt das Weltmuseum, das Literaturmuseum bekommt auch ein bisserl weniger Geld ...

Ostermayer: Jetzt wird ein Konzept erarbeitet, auf dessen Basis die Kosten berechnet werden.

STANDARD: Das klingt danach, ob die Realisierung gar nicht fix ist.

Ostermayer: Das gilt praktisch für alles, was wir tun. Wir haben im Vierteljahresabstand unterschiedliche Prognosen der Wirtschaftsforscher. Wir leben in einer extrem volatilen Zeit. Ich werde ab und zu gefragt, ob ich irgendetwas im Jahr 2018 garantieren kann. Nur Scharlatane sagen Ja. Aufgrund des derzeitigen Stands bin ich aber überzeugt, dass wir eine Lösung finden. (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, DER STANDARD, 31.1.2015)