Erbschaftssteuern wecken Emotionen. Sowohl bei den Befürwortern, die sie vermissen. Als auch bei den Gegnern, die sie als Enteignung und als Angriff auf Leistung und Lebenswerk verstehen. Erbschaftssteuern sind kein Selbstzweck, sie verfolgen definierte Ziele: Erhöhung der Chancengleichheit, Stärkung des Leistungsprinzips, Finanzierung öffentlicher Aufgaben, Finanzstabilität und die Verhinderung von Machtkonzentration.

Das Leistungsargument wird von beiden Seiten angeführt, weil der Erbvorgang zwei Seiten hat: die Seite der bisherigen Eigentümer (Vermächtnis) und die der neuen (Erbe). Gegner meinen, dass erst durch die Möglichkeit, das Vermögen den Kindern (vollständig) zu vermachen, Eltern einen Anreiz zu Leistung und Vermögensaufbau hätten. Träfe dies zu, wäre von Kinderlosen kaum Leistung zu erwarten. Gegenwärtig ist jedoch zu beobachten, dass Zeitgenossen keine Kinder bekommen, weil sie das vom permanenten Hochleisten abhielte.

Umgekehrt ist es fraglich, ob es tatsächlich die Leistungsbereitschaft der Sprösslinge anspornt, wenn sie ein riesiges Erbteil erhalten. Großerbschaften führen immer häufiger dazu, dass sie von den Kindern als "kapitale Hängematte" benutzt werden: Sie lassen andere für sich arbeiten und leisten selbst - gar nichts. Um dies zu verhindern, gibt es in den USA bei Multimillionären eine Tendenz, Kindern nichts zu vermachen - um ihnen die gleiche Chance wie den Eltern zu lassen, aus eigener Kraft etwas aufzubauen. Für Warren Buffett erfüllt sich darin das Leistungsethos: "Ich will meinen Kindern so viel schenken, dass sie sich imstande fühlen, alles zu tun, aber nicht so viel, dass sie glauben, sie müssten nichts tun."

Das schrankenlose Erbrecht führt nicht nur zu Fehlanreizen, sondern auch zu extremer Ungleichheit und zur Festigung von Dynastien. In Österreich ist das Vermögen des reichsten Prozents bereits doppelt so groß wie die Staatsschulden. Weltweit wird laut Oxfam nächstes Jahr ein Prozent so viel besitzen wie der Rest der Menschheit! Eine solche Konzentration von Eigentum und Macht untergräbt eine liberale Gesellschaft, in der alle Menschen die gleichen Freiheiten, Rechte und Chancen genießen sollten. Diese Erkenntnis wurde in demokratischen Verfassungen verarbeitet: "Die Erbschaftssteuer dient unter anderem dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen weniger zu verhindern", besagt die bayrische Verfassung von 1946. John Stuart Mill differenzierte 1848 in den Principles on Political Economy: "Es lässt sich nichts dagegen einwenden, eine Obergrenze dafür festzusetzen, wie viel sich eine Person aus der reinen Gunst anderer ohne Anwendung der eigenen Fähigkeiten aneignen darf, und dass von ihr verlangt wird, dass sie, wenn sie ein größeres Vermögen wünscht, dafür arbeiten soll."

Grundsätzlich gibt es zwei Extremzugänge zum Thema Erbrecht: die feudale Lösung und die liberale Lösung. Nach dem Feudalprinzip entscheidet ausschließlich die Geburt, wer wie viel erbt: Das ist heute der Fall. An die Stelle des Blutadels ist der Geldadel getreten. Das liberale Prinzip besagt: Alle starten unter gleichen Bedingungen, damit sie aus eigener Leistung ein (unterschiedliches) Vermögen erarbeiten können. Dazu müsste das Erbrecht entweder gänzlich abgeschafft oder so reformiert werden, dass alle mit einem gleich großen Erbe starten - dies könnte eine "negative Erbschaftssteuer" leisten. Aus der Umverteilung von Erbvermögen oberhalb eines Freibetrags erhalten diejenigen ein Erbe, die sonst leer ausgehen würden. Der Freibetrag könnte bei Privatvermögen eine halbe, eine Dreiviertel- oder eine ganze Million betragen, bei landwirtschaftlichem und Unternehmensvermögen zehn oder zwanzig Millionen Euro: ein Mittelweg zwischen den Extremen.

Ausgerechnet der Vorschlag eines Mittelweges war der bisher größte Aufreger in der österreichischen Debatte: Ein SPÖ-Modell sieht einen Steuersatz von 35 Prozent bei Erbschaften ab zehn Millionen Euro vor. Die Empörung kannte keine Grenzen: "Absur- de Umverteilungsromantik" ortete das Team Stronach, "blanken Wahnsinn" die Kleine-Mann-Partei FPÖ. Die Agenda Austria, Thinktank für den großen Mann, rechnete vor: In der dritten Generation wäre das gesamte Vermögen weg. Richard Lugner stellte seine Emigration in Aussicht. Der Baumeister legte 2014 sein Vermögen offen: 135 Millionen Euro. Gegenüber der Presse ging er von einem Vermögenszuwachs von zehn Millionen Euro auf 145 Millionen Euro aus - eine Jahresrendite von sieben Prozent.

Dieser Wert deckt sich mit Langzeitdaten von Thomas Piketty. Nicht für Omas Sparbuch, sondern für Millionenvermögen. Bei einer Inflation von zwei Prozent betrüge die reale Vermögensrendite noch fünf Prozent pro Jahr. Angenommen, Lugners Kinder müssten auf 135 Millionen Euro 35 Prozent Erbschaftssteuer zahlen, seine Enkerln ein weiteres Mal und die Urenkerln ein drittes Mal: Dann hätten Letztere in 70 Jahren bei konstanter Rendite nicht "nichts" in der Hand (Agenda Austria), sondern 1,13 Mrd Euro. Das 8,4-Fache. Ohne Erbschaftssteuer wären es 4,1 Milliarden: das 30,4-Fache.

Nüchtern gerechnet wäre ein Steuersatz von 35 Prozent auf Großvermögen daher deutlich zu wenig. Ein Mittelweg zwischen den Extremen würde sich aus drei Komponenten zusammensetzen: 1. ein Freibetrag, um dem Familien/Dynastie-Prinzip Genüge zu tun; 2. ein Steuersatz von 100 Prozent ab der Freigrenze, um dem liberalen Prinzip und der Chancengleichheit gerecht zu werden. Drittens könnte Eigentum sogar verschont bleiben, indem das Vermächtnis (der Eigentümer) steuerfrei bleibt. Besteuert werden nur Erbschaften: die leistungslosen Einkommen der Nachkommen. (Christian Felber, DER STANDARD, 31.1.2015)