Die Telekomindustrie will spezielle "Spuren" für Telemedizin und andere Anwendungen - Kritiker befürchten, dass diese für Unterhaltungsangebote geöffnet werden

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Mobilfunker Drei soll mit seinem Spotify-Tarif gegen die Netzneutralität verstoßen (Bild: Vorstellung des Tarifs mit der Band "Kaiser Franz Josef")

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Ein nun veröffentlichter Bericht der EU-Ratspräsidentschaft sorgt für Entsetzen bei Internetaktivisten. "Das Internet, wie wir es kennen, ist in Gefahr", schreibt die NGO Digitale Gesellschaft Deutschland. "Dieser Ansatz verringert Vielfalt, erhöht Kosten und zerstört Innovation", warnt auch die Initiative European Digital Rights (EDRi).

Der Grund für die Aufregung: Das EU-Papier, das unter der Ägide der lettischen Ratspräsidentschaft entstanden ist, will Telekomprovidern erlauben, sogenannte "Spezialdienste" anzubieten. Das bedeutet, dass gewisse Datenpakete besser als der reguläre Internetverkehr behandelt werden und auf einer Art "Überholspur" durchs Netz fließen. Das widerspricht dem Konzept der Netzneutralität, dem zufolge alle Daten gleich behandelt werden müssen.

Spezialdienste ohn Einschränkung

Telekomprovider argumentieren, dass dies bei Telemedizin-Anwendungen oder der Industrie 4.0, also vernetzten Hightech-Fabriken, notwendig sei. Kritiker verweisen allerdings darauf, dass eine "Überholspur" beim Ausfall des Netzes auch nichts bringe - wenn, dann müssten ganz eigene Leitungen gebaut werden. Sie befürchten, dass Unterhaltungsanbieter wie Videostreamer Netflix oder Youtube eine eigene Spur kaufen. Diese Angebote könnten dann mehr Daten versenden als andere Angebote, also etwa hochauflösender streamen. Das könnte in der Praxis dazu führen, dass sogar Konkurrenten blockiert werden, wenn diese das Netz überlasten. Auch "verbotene Inhalte" sollen gestoppt werden, etwa im Bereich Urheberrechtsverstöße.

Infrastrukturministerium will "anwendungsneutrale" Lösungen

Im österreichischen Infrastrukturministerium sieht man solche Spezialdienste "kritisch". Man forciere "anwendungsneutrale" Lösungen, heißt es aus dem Ministerium. Auch weil Spezialdienste Innovationen hemmten, da sich neue Services wohl keine Überholspur leisten könnten. Das Internet solle aber als Motor für Innovationen erhalten bleiben.

Diskriminierende Tarife

Ein weiterer Streitpunkt sind sogenannte "Zero Rate"-Tarife. Diese erlauben Nutzern ein bestimmtes Datenvolumen für beliebige Zwecke, zusätzlich kann ein Service ohne Datenlimit genutzt werden. In Österreich bietet beispielsweise Mobilfunker "3" einen solchen Tarif mit Musikstreamingdienst "Spotify" an.

Laut der heimischen Regulierungsbehörde RTR verstößt dieses Angebot gegen Prinzipien der Netzneutralität. "Derzeit existieren jedoch weder auf nationaler noch auf EU-Ebene Rechtsvorschriften, die es der Regulierungsbehörde ermöglichen, solche Verletzungen auch zu sanktionieren", so die RTR zum Standard.

EU-weite Lösung geplant

Eine nationale Regelung dürfte vorerst aber nicht kommen. Denn das Infrastrukturministerium setzt auf eine EU-weite Regelung. Dem Vernehmen nach will auch die EU-Kommission keine nationalen Sonderwege. In einigen Ländern wie den Niederlanden oder Slowenien ist die Netzneutralität bereits gesetzlich verankert. Die Minister dieser Länder bekämpfen momentan im EU-Rat eine Abschwächung derNetzneutralität, Österreich dürfte sich zu ihnen gesellen.

Datenschutz

Denn auch der Datenschutz ist dem Infrastrukturministerium ein Anliegen. Je mehr das Nutzungsverhalten der Bürger aufgesplittert wird, desto gläserner werden sie. Die Digitale Gesellschaft warnt sogar, dass Provider auf sogenannte "Deep Packet Inspections", also das Durchleuchten von Datenpaketen, setzen könnten, um die Datenpakete zu unterscheiden - ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der Nutzer. Diese Methode wird im neuen EU-Entwurf nicht verboten.

Komplizierte Verhandlungen

Momentan sind Arbeitsgruppen in Brüssel damit beschäftigt, einen für alle Mitgliedsstaaten tragbaren Entwurf zu kreieren. Dem sollen die für Telekom-Angelegenheiten zuständigen Minister bei ihrer nächsten Tagung im Juni zustimmen. Anschließend verhandeln EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament weiter.

Lobbyismus

Die Abgeordneten hatten sich dabei vergangenen April weitgehend für die Beibehaltung der Netzneutralität ausgesprochen. Deren Befürworter hatten dies als Sieg gefeiert, da Lobbyisten großer Telekomkonzerne schon damals massiv versucht hatten, Spezialdienste unbegrenzt zu erlauben. "Die großen Telekoms sehen natürlich eine lukrative Profitquelle im zweispurigen Internet", sagt der EU-Abgeordnete Joe Weidenholzer (SPÖ).

Industrie will lieber "Qualitätsklassen"

Für Paul Rübig (ÖVP) geht der Bericht hingegen "in die richtige Richtung". Vor allem EU-Digitalkommissar Günther Oettinger (CDU) ist dem Vernehmen zufolge ansprechbar für die Wünsche der Industrie. Die vermeidet nun das Wort "Netzneutralität". Besser sei es, über "Qualitätsklassen" zu sprechen, schlug der deutsche Vodafone-Chef Jens Schulte-Bockum in einem Interview mit dem Handelsblatt vor. Denn "Netzneutralität" sei "zu negativ" konnotiert. (Fabian Schmid, DER STANDARD, 2.2.2015)