Ein klassischer Landschaftsblick - vom Berg herab ins Tal: In En la Pampa (The Pink Bag) von 2008 fängt der Fotograf Jordi Colomer das urbane Panorama der chilenischen Hafenstadt Iquique ein.

Foto: Jordi Colomer/ Bank Austria Kunstforum

Elger Esser: "Roghudi II, Italien / Italy" (1998)

Foto: Elger Esser

Axel Hütte: "Furka II, Schweiz / Switzerland" (1995)

Foto: Axel Hütte

Wien - Der Blick vom Mond herab zum blauen Planeten macht aus der Erde, aus einem von ungezählten Planeten im Universum, eine Landschaft. Es ist die Perspektive, das Fassen eines Ausschnitts, die aus "Natur" - aus Bergen, Meer, aus der Ebene und dem Himmel - Landschaft macht, also eine ästhetische Dimension. Den "bildenden Blick" des Menschen nannte dies Soziologe Georg Simmel 1913 in seinem Essay Philosophie der Landschaft: eine "Schöpfung", die "ein Losreißen von jenem einheitlichen Fühlen der Allnatur forderte".

Waren für die Landschaft als Kultur des Sehens, als metaphorischem Ort und Sehnsuchtsraum, viele Jahre die Maler zuständig, hat inzwischen die Fotografie die Hoheit über das "Landschaftsbild" gewonnen. Mittlerweile sind ihre Tableaus jenen der Maler sogar ebenbürtig: Denn das zunächst einmal realitätsabbildende, ja dokumentarisch verstandene Medium kann nun - so wie das Gemälde - zum fiktionalen Bild werden. Fotografie mit dem Status der Malerei.

Gutes Beispiel dafür ist etwa der neopiktorialistische Ansatz von Elger Esser: Gelbstichig, irgendwie staubig und vergilbt wirken seine Fotografien, so als hätte die Zeit ihnen eine Patina verpasst (Das erste Foto dieser Art ist eigentlich einer Panne bei der Entwicklung geschuldet). Seine Perspektive auf Landschaften - auf pittoreske Bergdörfer in Italien, Burgen in Portugal oder eine venezianische Anlegestelle - speist sich aus dem kulturellen Fundus bestehender Bilder, ist inspiriert von Sujets und Kompositionen der Malereigeschichte oder historischen Landschafts- und Reisefotografien.

"Die wahre Landschaft ist im Kopf", hat Kulturwissenschaftler Orvar Löfgren diese Definitionsmacht des Betrachterauges genannt. Landscape in my mind heißt, von diesem Zitat ausgehend die Ausstellung zur aktuellen Landschaftsfotografie im Kunstforum. Was stellen wir uns unter Landschaft vor und wie wird das von heutigen Fotografen eingelöst, fasst Kurator Florian Steininger die interessante Idee hinter seiner Bilderreise zusammen. Oder anders ausgedrückt: So wie die Art und Weise, wie wir auf die Welt schauen, ein "Landschaftsbild" konstruiert, so ändert freilich auch die Zeit, wechselnde, weil von Politik und Ökonomie beeinflusste "Weltanschauungen" den Landschaftsbegriff. Naive Blicke auf eine idealisierte Landschaft werden heute sofort als solche enttarnt.

Schau der großen Namen

Aufgemacht ist die Schau allerdings völlig anders: Von Hamish Fulton bis Andreas Gursky liest man im Untertitel - das klingt wie Monet bis Picasso oder Warhol bis Richter und das soll es wohl auch. Keine Frage, natürlich entspricht man den so geschürten Erwartungen: Es sind tatsächlich Arbeiten der großen Vertreter der Gegenwartsfotografie zu sehen - darunter neben Elger Esser, auch die anderen Becher-Schüler Axel Hütte, Thomas Ruff, Thomas Struth, Andreas Gursky, Jörg Sasse, weiters Olaf Otto Becker, Walter Niedermayr, Frank Thiel, aber auch die Österreicherinnen Margherita Spiluttini und Julie Monaco.

Präsentiert werden Arbeiten mit Tableau-Anspruch, was Fotografien, die weniger als solitäres "Bild" gelten wollen, sondern vielmehr im Kontext einer Reportage zu sehen sind, ausschließt: "Kunst hat gar nicht den Anspruch, einen Text zu stützen. Sie muss ihn zerstören", macht Fotograf Axel Hütte im Gespräch mit dem Standard den Unterschied zwischen Reportage- und Kunstfotografie sehr deutlich.

Die Ansätze der versammelten Fotografen sind höchst verschieden, spiegeln oft auch medienspezifische Diskurse, wie jene von selbst erzeugtem oder angeeignetem Material (Found Footage), von Analog versus Digital. Axel Hütte beschreibt seine Strategie etwa als "halluzinatorisch-realistisch" , weil er sich die Macht der Imagination zunutze macht, um Sachen, die gar nicht zu sehen sind - etwa das Gefühl von Weite in einem von dichtem Nebel verhangenen Alpenpass - zu erzeugen. Während er darüber nachdenkt, wie er das Gesehene mit den Mitteln der Fotografie und in deren Bildstruktur rekonstruieren kann, baut Julie Monaco Ozeane und Gebirge überhaupt am Computer. Andere manipulieren mit Photoshop, Hamish Fulton erfährt Landschaften spirituell als Wanderer, folgt mehr dem Konzept, statt einer Suche nach dem besten Bild.

Statt diese unterschiedlichen Zugänge vorzustellen, ordnet die Wiener Schau diese Ansätze einer eher konventionellen - und dominanten - Ordnung nach Motiven - Berg, Meer, Stadt, All usw. - unter. Dort bleichen die ursprünglichen Fragestellungen ein bisschen aus. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 11.2.2015, erweiterte Fassung)