Auf Andy Warhols zehnteilige Porträtserie von Mick Jagger (1975), dessen Glamour noch mit Gold- und Silberfolie intensiviert wurde, war man in Köln besonders neidig.

Foto: © 2014 Andy Warhol Foundation for Visual Arts / Bildrecht Wien, 2015 Photo: © mumok / Rastl, Deinhardstein

Wien - "You Bought It, Now Live With It", titelte das Life-Magazin 1965. Und in seiner Homestory über die zwei wichtigsten amerikanischen Pop-Art-Sammler kamen Leon Kraushar und Robert Scull dieser Aufforderung auch enthusiastisch nach: Im roten Bademantel räkelt sich der New Yorker Versicherungsmakler auf seinem Bett vor seinen Warhol-Damen: der Monroe, der Taylor und der Kennedy; der Taxiunternehmer scheint gleich vom frischen Gipsbraten und anderen Speisen aus Claes Oldenburgs Gipsherd kosten zu wollen.

In Peter und Irene Ludwigs Villa stand das Pop-Art-Möbel jedoch nie (so wie 99 Prozent seiner Sammlung nicht). Als 1973 Werke aus Sculls Kollektion, darunter der Oldenburg-Herd, versteigert wurden, erstand ihn Peter Ludwig, der Schokoladenfabrikant mit Kunstgeschichtsstudium, der nach erster, auch öffentlich kundgetaner Skepsis fast explosionsartig zum Missionar in Sachen Pop Art wurde und seit 1967/1968 fast monatlich Einkaufsausflüge nach New York unternahm.

Er hätte auch drei Schiffe kaufen und damit durch die Welt schippern können, erzählt eine Zeitzeugin in einem alten TV-Beitrag des WDR, aber davon hätten die Menschen nichts gehabt. Sammeln sei Besessenheit, sagte der vom Saulus zum Paulus der Pop Art gereifte Ludwig einmal*, der seine Kaufexzesse womöglich mit dem selbsterteilten öffentlichen Auftrag rechtfertigte.

Inszeniert hat sich Ludwig mit seiner Pop Art, die oft eins zu eins Warenwelt und Alltag des amerikanischen Traums replizierte, jedoch schon. Sitzend etwa an einem der berühmt-berüchtigten Fetischmöbel von Allen Jones (1969): Eine Barbusige in Highheels und wenig Leder balanciert auf allen vieren über eine Tischplatte. In Tom Wesselmanns räumlich übersetztem Tafelbild Badewanne 3 (1963) nimmt Ludwig am Schmutzwäschekorb neben der duschenden Venus Platz. Ein grandioses Foto, das daher auch den Einband zur Ausstellung Ludwig Goes Pop vortrefflich ziert. Ob daraus eine Haltung gegenüber Frauen abzuleiten ist? Fix ist, dass Künstlerinnen, deren Status auch in der Pop Art nicht sehr groß war, in der Sammlung Ludwig keine Rolle spielen. Ausnahme ist Marisol. Ironischerweise spielen in ihrer Arbeit La visita (1964), einem skulpturalen Familienbild, die Männer keine Rolle: Sie sind abwesend.

Die dem herausragenden Sammler gewidmete Schau, dessen Kunstschätze heute auf 19 Museen in fünf Ländern verteilt sind, lockte im Kölner Museum Ludwig ganze 108.000 Besucher an. Rekordzahlen wird die massenbegeisternde, Höchstpreise erzielende Pop Art sicher auch dem Wiener Mumok bescheren, dessen Bestehen die Ludwig-Stiftung begründet.

Das Spannende ist: Wer in Köln war, wird in Wien trotzdem eine völlig andere Ausstellung sehen. Nicht allein deshalb, weil man das eigene, legendäre Mouse Museum von Oldenburg installiert hat oder andere Stücke nicht noch einmal reisen durften, sondern insbesondere weil Kuratorin Susanne Neuburger der Präsentation ihren eigenen Stempel aufgedrückt hat. Statt der klaren Gliederung nach Schlagworten ist die Wiener Schau atmosphärischer gehängt.

Christian Höller ergänzte Kontextmaterial: mit Plattencovern, Musik, Magazin- und Filmmaterial. Ein dichtes, schönes Paket mit vielen Raritäten. Allein die Reihe zu den von Warhol gestalteten Vinyl-Covern weiß zu überraschen. Humor beweist man bei dem von Peter Blake für die Beatles gestalteten Cover des Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band-Albums (1967). Bereits ein Jahr später erschien Frank Zappas Persiflage We're only in it for the money, die ebenfalls im Mumok zu sehen ist.

Räume, so wie jenen, den Pin-ups gewidmeten Kölner Saal, gibt es hier zum Glück nicht: Auf Mel Ramos' typische Nackedeien (im Cocktailglas, auf einem Nilpferd) verzichtet man zugunsten seines Bilds von Batman und Robin in Aktion, die überdies zu Roy Lichtensteins Comic-Blondies hinüberblinzeln: proper-brave Weibchen, die auch augenscheinlichste Reize von Wesselman's Great American Nudes ausbremsen.

Bitte nicht berühren

Obwohl - weite Blicke sind im obersten Saal kaum möglich. Das die Kulturgeschichte des Plastiks und die Absurdität moderner Imagination thematisierende Mouse Museum (1965/1977) ist nicht nur raumbestimmend, sondern auch -füllend. Dahinter in einer Nische die Gruppe schlafender Obdachloser vom Hyperrealisten Duane Hanson. In Köln waren die effektvoller installiert: Auf den Stiegen stolperte man fast über sie. In Wien ist der Hinweis "Bitte nicht berühren!" irgendwie befremdlich.

Geknickte Wände schaffen in den anderen Geschoßen intime Nischen mit Potenzial zum Dialog. Sattsehen kann man sich hier an den versammelten Schätzen, an Robert Indiana, Jasper Johns, Andy Warhol, Roy Lichtenstein: Da knallen die medial vervielfältigen Kriege und Katastrophen - Warhols Orange Car Crash (1963) - auf die Serialität der Kunstgeschichte - Lichtensteins Monet-Zitat von 1969 zur Kathedrale von Rouen. Das Flirren des Lichts und das impressionistische Stricheln übersetzt der Pop-Künstler raffiniert in seine Sprache, in das Raster der Druckpunkte.

Das auf der Auftaktebene noch klarere Konzept der Raumteilung formt im Zentrum eine leere Zone: Einzig die Porträts von Peter Ludwig, dem Patron, hängen in diesen zwei sich kreuzenden Gängen. Hinter diesen Kulissen findet sich ein intensives Kapitel zur britischen Ausprägung der Pop Art - etwa mit Richard Hamilton und David Hockney. Von Peter Blake ist beispielsweise die Sinatra Door von 1959 zu sehen, der darin Elemente der US-amerikanischen Pop Art vorwegnimmt: etwa das Integrieren realer Gegenstände ins klassische Tafelbild, oder das als Warhols Markenzeichen geltende Vervielfachen des Porträtierten.

Was in Wien allerdings ebenso wie in Köln fehlt, ist ein kritischer Blick auf den großen Ludwig. Der Sammler vermittelt sich zwar wegen seiner akribisch geführten Karteikarten als kauziger Genosse; der Machtmensch Ludwig, der seine Sammlungsstücke auch wieder entziehen konnte, etwa um sie anderen Standorten zuzuführen, bleibt jedoch ausgeblendet. Hans Haacke kritisierte in seiner Arbeit Pralinenmeister (1981) etwa das unternehmerische Gebaren des Industriellen, dessen museale Expansionen wohl auch strategische Züge (im Hinblick auf Absatzmärkte) hatten. Seinen Verdiensten um die Kunst hätte dieser Seitenblick kaum weh getan. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, Langfassung, 12.2.2015)

* Der Vergleich stammt von dem deutschen Kunsthistoriker und Kurator Klaus Honnef.