Wien - Der Satz Gustav Mahlers, Tradition sei die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche, ist nach über 100 Jahren im klassischen Musikleben mehr denn je aktuell. Er ließe sich schon auf das symphonische Schaffen von Komponist Johannes Brahms mit seinen altertümelnden Formen und den darin verborgenen Innovationen anwenden - und noch mehr auf die Brahms-Interpretation, die seine Musik allzu häufig auf Behaglichkeit reduziert.

Die Wiener Philharmoniker haben eine tiefe Affinität zu einem schwelgerisch-seelenvollen Ton. Insofern sind sie für Brahms prädestiniert. Auch wenn sie sich gestalterisch traditionell stark einbringen, liegt es schließlich doch am Dirigenten, die vielen ganz und gar nicht nebensächlichen Details ebenso vorzugeben wie Schwung und große Linie. Und hier fehlte es bei Daniele Gatti im Großen Konzerthaussaal an ganz Grundsätzlichem.

"Allegro con brio" ist der Kopfsatz der Dritten überschrieben; doch an Feuer und Elan fehlte es nicht nur hier ganz empfindlich. Stattdessen wirkte nicht nur das "leidenschaftliche" Hauptthema behäbig, was nicht nur an einem zurückhaltenden Tempo lag, sondern auch an vielen zu wenig präsenten Kleinigkeiten: Hörbare Synkopen: Fehlanzeige. Akzente: verwaschen. Dynamische Unterschiede, etwa zwischen Forte und Fortissimo: weitgehend nicht vorhanden.

Ähnlich statisch ging es beim - mehr stehenden als gehenden - Andante weiter. Und jene Stellen, wo beinahe Bruckner'sche Irritationen eingebaut sind, blieben ähnlich unverbindlich wie der Rest. Daran änderte sich auch bei der Ersten wenig, abgesehen davon, dass sie noch weniger gestaltet - geschweige denn interpretiert - erschien.

Mit den wunderbaren Möglichkeiten dieses Orchesters und seiner Routine war sie zwar in vielem nahe am Gelingen, doch gleichzeitig vom Überzeugen um Welten entfernt: So blieb vor allem hohles Pathos übrig.

Und das Feuer fehlte hier ebenfalls - nicht erst dort, wo sich Brahms (im Finale) erneut ein "con brio" wünscht. Stattdessen blieb es - wie noch bei so manchem - beim Wunsch. (Daniel Ender, DER STANDARD, 13.2.2015)