Die Fotokünstlerin Tina Lechner lebt im dritten Wiener Bezirk, einen Steinwurf vom Donaukanal entfernt. Mehr präsent als alles andere ist in ihrer Wohnung die Arbeit. Davon durfte sich Michael Hausenblas überzeugen.

"Ich wohne seit 2011 in dieser Wohnung. Das dazugehörige Haus wurde kurz davor generalsaniert. Erbaut wurde es 1890. Ich mag Altbau. Aber wer nicht? Meine Wohnung misst 64 Quadratmeter und liegt im dritten Stock. Außerdem geht sie nach Norden. Ich glaube, die meisten Menschen bevorzugen eine Ausrichtung nach Süden. Ich nicht, denn so wird das Licht von den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses zu mir herüber reflektiert. Dadurch entstehen wunderbare Lichtstimmungen zum Fotografieren, die allerdings meist nicht länger als eine halbe Stunde andauern. Ich fühle mich wohl, auch durch die Nähe zum Prater. Ich bin oft auf der Jesuitenwiese, nehm mir einen Kaffee mit oder gehe laufen. Das Stadionbad ist auch nicht weit. Der Donaukanal dazwischen ist mir egal, den nehm ich eher als braunes Rinnsal denn als Gewässer wahr.

Die Künstlerin Tina Lechner beim Wohnen bzw. Arbeiten. Wenn sich Besuch in ihrer Wohnung ankündigt, muss erst einmal Platz geschaffen werden. (Bildansicht durch Klick vergrößern)
Foto: Lisi Specht

Die Wohnung besteht aus einem kleinen Vorraum, einer Küche, einem WC, einem Badezimmer und zwei miteinander verbundenen Zimmern gleicher Größe. Eine klassische Raumgestaltung wie Wohn- oder Esszimmer gibt's bei mir nicht.

In beiden Zimmern dreht sich alles um die Arbeit. "Schöner wohnen" spielt's bei mir definitiv nicht. Das Gen fehlt mir. Ich glaube auch nicht, dass sich das ändern wird. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, ich schau mir schöne Wohnungen durchaus gerne an. Wenn Möbel aber zu museal präsentiert werden und man sich nicht mal draufsetzen darf, dann wird mir das zu viel. Ich wüsste auch nicht, was ich in einer solchen Wohnung tun sollte.

Egal: Bei mir herrscht die pure Funktion, gemischt mit Chaos. Sogar das Bett dient tagsüber als Auflagefläche und Arbeitsort, an dem ich zum Beispiel Büroarbeit erledige oder esse. Ebenso wichtig ist mein großer Arbeitstisch. Eine räumliche Ordnung findet eher in meiner Kunst statt.

Es gibt hier kein Möbelstück, das mir irgendwie am Herzen liegt, alles ist der Funktion geschuldet. Nehmen wir zum Beispiel meinen roten Kleiderkasten: Als ich einmal an einer Skulptur arbeitete, brauchte ich dringend ein Stück Holz. Da hab ich einfach die Säge gezückt.

Wenn ich morgens aufwache, ist es mir am wichtigsten, rasch zu meiner Arbeit, zum Tisch und zu meinen Materialien zu kommen. Außerdem bedarf es einer gewissen Ruhe für all das, was ich hier tue.

Überall liegen Arbeiten von mir herum, Archivschachteln, Utensilien, und in einem der beiden größeren Zimmer wird fotografiert. Die Dunkelkammer hab ich inzwischen ausgelagert. Das war das einzige Zugeständnis an Komfort, denn es war schon so weit, dass selbst meine Dusche von Arbeit besetzt war. Deswegen ging sogar einmal eine Beziehung in die Brüche, ich hatte das WC zur Dunkelkammer umfunktioniert.

Trotz all diesem Praktischem bedeutet mir Wohnen auch Rückzug und Geborgenheit. Das mit dem Einrichten findet gewissermaßen eher in meiner Kunst statt.

Ich habe in alten Schlössern, zum Beispiel Schloss Trautmannsdorf, fotografiert und mir dabei vorgestellt, wie die Menschen hier einst lebten. Dabei entstanden sehr spannende Inszenierungen, bei denen ich zum Beispiel geometrische Elemente aus Parkettböden oder Wandtextilien in Skulpturen umwandelte und diese dann in den betreffenden, verfallenen Räumen fotografierte.

Ich habe auch keinen Wohntraum, oder anders formuliert: Das hier ist mein Wohntraum, es passt mir hier alles, so wie es ist. Ich möchte an dieser Situation auch überhaupt nichts ändern. Wenn ich verreist bin und in einem Hotel wohne, vermisse ich bereits nach vier Tagen meinen Arbeitstisch." (DER STANDARD, 14.2.2014)