Die Bioethikkommission hat ihren Beschluss gefasst. Erfreulicherweise spricht auch sie sich einstimmig für den Ausbau und ein Grundrecht auf Palliativ- und Hospizbetreuung aus. Weniger erfreulich ist, dass sie sich mit 16 zu acht Stimmen auch für eine Aufweichung des geltenden Verbots der Suizidbeihilfe ausspricht. Umso mehr, weil die dafür herangezogenen Prämissen höchst fraglich und daher auch hier von uns als Vertreter nicht nur der abweichenden Meinung, sondern auch eines ergänzenden Sondervotums kritisch zu beleuchten sind.

Ausgangspunkt der Empfehlung ist eine behauptete starke Verunsicherung der Ärzte, sich strafbar zu machen, wenn sie erstens unverhältnismäßige medizinische Interventionen am Lebensende einstellen beziehungsweise zweitens Patienten, die ihnen gegenüber Suizidgedanken äußern, wegen akuter Selbstgefährdung nicht unverzüglich zwangsweise unterbringen lassen.

Nicht ausreichend beurteilt werden kann, ob diese Rechtsunsicherheit tatsächlich besteht. Was klargestellt werden muss, ist, dass sie unbegründet ist. Schon heute macht sich kein Arzt strafbar, wenn er medizinische Behandlungen einstellt, für die keine medizinische Indikation mehr vorliegt beziehungsweise die mehr Belastung als Nutzen bringen, weil sie damit klar dem Wohl des Patienten widersprechen.

Auch die Sorge hinsichtlich der Pflicht zur zwangsweisen Unterbringung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Zwangsweise untergebracht werden können nur Menschen, die psychisch krank sind. So sehr Suizidgedanken nicht erfreulich sind, so wenig sind sie insbesondere als erste Reaktion auf eine schlechte Diagnose sofort als psychische Krankheit einzustufen. Eine zwangsweise Unterbringung wäre also gar nicht möglich.

Wieder reicht es, wenn der Arzt sich am Wohl des Patienten orientiert, wozu auch ein offenes Gespräch gehört. Bei diesem ist zu beachten, dass nicht schon jeder lebensmüde Gedanke als tatsächliche Absicht zu werten ist. Bei wiederholten beziehungsweise nachdrücklichen Anzeichen verlangt es aber das Wohl des Patienten, diesem eine psychologische Aussprache nahezulegen oder, wenn vorhanden, im stationären Bereich zu organisieren.

Keine gemeinsame Sprache

Rechtsunsicherheit und unverhältnismäßige medizinische Behandlungen zu vermeiden ist ein erstrebenswertes Ziel. Dafür braucht es aber keine Änderung der geltenden Rechtslage, auch keine Herausnahme aus der Strafbarkeit aufgrund von Entscheidungsprozessen, die erst recht auf groben Missbrauch hin überprüft werden müssten. Vielmehr notwendig ist ein viel intensiverer Informations- und Bildungsaustausch zwischen einschlägig tätigen Juristen, Medizinern und pflegenden Personen. Nur so kann eine gegenseitige Sprache und Vertrauensbasis entwickelt werden, durch die unbegründete Rechtsunsicherheit und realitätsferne Urteile vermieden werden können.

In einem nächsten Schritt versucht das Mehrheitsvotum durch "klar begrenzte" Ausnahmefälle Graubereiche aufgrund von Gewissenskonflikten bei Angehörigen einzufangen und Barmherzigkeit walten zu lassen, aber gleichzeitig zu vermeiden, dass assistierter Suizid zum Normalfall wird.

Als plakatives Beispiel wird dafür jener deutsche Superintendent herangezogen, der aus Liebe seine suizidwillige Frau auch in die Schweiz begleiten würde, und behauptet, dass dies in Österreich ein klarer Fall von verbotener Beihilfe sei. Aber so klar ist das nicht. Wie immer im Strafrecht kommt es darauf an. In diesem Fall etwa, ob der Ehemann "nur" begleitet, die Fahrt überhaupt erst ermöglicht oder den Willen seiner Frau dazu wesentlich bestärkt. Schon die rechtliche Prämisse ist also nicht so drastisch wie angenommen.

Aber auch die übrigen Anliegen können nicht überzeugen. Rechtliche Anlassfälle für Suizidbeihilfe gibt es bis auf einen Freispruch keine. Graubereiche werden durch das Öffnen von klaren Grenzen selten eingefangen, sondern eher bloß verschoben. Eine klare Abgrenzung ist angesichts der ungenauen Rechtsbegriffe wie "begrenzte Lebenserwartung" und dem von Umfragen abhängigen Verständnis nicht einmal von Optimisten zu erwarten.

Im Zusammenhang mit der Ermächtigung zum Töten - und nichts anderes ist eine Beihilfe zum Selbstmord - den Begriff der Barmherzigkeit zu verwenden, lässt schaudern. Ebenso die Annahme, dass durch gesetzliche Ausnahmefälle der assistierte Suizid nicht zur Norm werde. Denn gerade durch eine Norm, nämlich die gesetzliche Straffreistellung, wird ja auf allgemein-abstrakter Ebene signalisiert, dass es sich unter den angegebenen Bedingungen bei der Suizidbeihilfe um einen akzeptierten Fall der Sterbebegleitung handle. Das ist eine deutliche Umkehr bisheriger Prinzipien und zeigt, dass auch bei empfohlenen Terminologien Acht gegeben werden muss.

Da hilft es nicht, wenn einstimmig dafür plädiert wird, dass in allen Fällen von Suizidabsichten Prävention und damit Palliativ- und Hospizversorgung Vorrang vor Beihilfe haben soll. In Wahrheit wird hier etwas in Reihenfolge gesetzt, das sich ausschließt - zumindest wenn man der weitaus überwiegenden Zahl von Experten- und Betroffenenaussagen in dieser Frage zuhören will. Man kann nicht mit großem Einsatz versuchen, etwas zu verhindern, zu dem man am Ende dann doch verhilft.

Änderung der Rechtslage

Zusammenfassend empfiehlt das Mehrheitsvotum also nichts anders, als eine drastische Änderung der geltenden Rechtslage. Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich die Bioethikkommission mit der eigentlichen Frage nach einer verfassungsrechtlichen Absicherung der geltenden Rechtslage erst gar nicht auseinandergesetzt hat. (Stephanie Merckens Klaus Voget, DER STANDARD, 14.2.2015)