Seine Großmutter gründete Akris. Heute führt Albert Kriemler zusammen mit seinem Bruder das Modelabel aus Sankt Gallen.

Foto: Akris

Das perfekte Kleid ist für Albert Kriemler jenes, das man nicht sofort wahrnimmt. Hier ein Bild aus dem Ballett "Verklungene Feste / Josephs Legende".

Foto: Wiener Staatsballett / Delbó, Casanova Sorolla

Man muss schon sehr genau hinhören. Spricht Albert Kriemler über Mode, dann macht er das mit leisen, wohlgesetzten Worten. Sein Schweizer Akzent modelliert sanft die Sätze, nur hin und wieder unterstreicht er das Gesagte mit einer Handbewegung. Genauso zurückhaltend wie der Designer ist auch seine Mode. 1980, mit gerade einmal 20 Jahren, übernahm Kriemler die kreative Leitung von Akris. Die Marke hatte seine Großmutter gegründet, heute ist sie das einzige Schweizer Couture-Label von Weltrang. Seit elf Jahren zeigt Kriemler seine Kollektionen auf dem Laufsteg von Paris, die berühmteste Trägerin ist Charlène von Monaco. In Wien hat Akris gerade ein neues Geschäft eröffnet (Tuchlauben 8). Wir treffen Albert Kriemler im Roten Salon des Hotel Sacher kurz vor der offiziellen Eröffnung des Geschäfts.

STANDARD: Auf was würden Sie eher verzichten: auf Mode oder Kunst?

Albert Kriemler: Ich lebe immer noch für die Mode. Manchmal wundere ich mich selbst, wie viel Passion ich nach 35 Jahren noch dafür habe.

STANDARD: Fast jede Ihrer Kollektionen der letzten Jahre ist eine Auseinandersetzung mit Kunst oder Architektur. War das immer schon Ihre Hauptinspiration?

Kriemler: Nein, aber gegen Ende der 1980er-Jahre habe ich bemerkt, dass ich nicht nur in der Mode leben kann. Mode allein bringt mich persönlich nicht weiter.

STANDARD: Warum?

Kriemler: Wenn ich nicht Modedesigner geworden wäre, hätte ich mich für Architektur entschieden. Die zeitgenössische Kunst kam dann dazu. Der Austausch mit Menschen aus anderen Feldern gibt mir einfach mehr. Als 2004 unser erstes Defilee in Paris anstand, musste ich einen eigenen Kommunikationsweg finden.

STANDARD: Und mithilfe der Kunst fiel Ihnen die Kommunikation am Laufsteg leichter?

Kriemler: Ich musste mir überlegen: Wie trete ich auf? Bei den Defilees wurde damals alles andere als tragbare Mode gezeigt. Mir war aber klar: Ich wollte so bleiben, wie wir sind. Auch tragbare Mode kann interessant sein. Unser erstes Pariser Defilee war von Fèlix Vallotton inspiriert. Er war der einzige Schweizer Nabis-Künstler, der in Paris nie akzeptiert wurde. Das hat mir gefallen! Die zweite Kollektion von Giorgio Morandi, die dritte von der Wiener Werkstätte.

STANDARD: Das ist beinahe ein Widerspruch in sich: Akris steht für minimalistische, puristische Mode, in der Wiener Werkstätte explodierten die Farben und Formen.

Kriemler: Mein Ansatzpunkt war die Passion für Materialien, die ich mit der Wiener Werkstätte teile. Wir haben Wollstickereien auf Seidenorganza gemacht, wir haben Galalithknöpfe und -stickereien entwickelt. Das war Akris, wie es leibt und lebt. Der Tapetendruck, den wir damals entwickelt haben, hat auf dem Laufsteg Geschichte geschrieben. Das war neu und anders. Damals fing der große Trend, mit Drucken zu arbeiten, gerade erst an.

STANDARD: Sie haben sich immer wieder von österreichischen Künstlern inspirieren lassen, von Joseph Maria Olbrich, Adolf Loos ...

Kriemler: ... Loos ist in meiner Arbeit omnipräsent. Er war ein Wegbereiter der Moderne. Er lebte eine bahnbrechend andere Architektur, die sehr funktionsbezogen, aber auch sehr sinnlich war. Und er hatte eine große Wertschätzung für Materialien. Wenn ein Material wertvoll ist, sagte er, müssen nur die Proportionen stimmen, wenn ein Material billig ist, muss es dekoriert werden.

STANDARD: Geht die Wertschätzung für Materialien in der Mode verloren?

Kriemler: Ich sehe immer wieder, wie wenige Designer Materialrecherche betreiben. Für mich fängt alles beim Material an. Wenn das Material eine untergeordnete Rolle spielt, dann habe ich meine Arbeit falsch gemacht.

STANDARD: Sie sammeln selbst auch Kunst. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Mode und Kunst beschreiben?

Kriemler: Was das anbelangt, ist Yves Saint Laurent für mich ein Vorbild. Er hat mit Matisse, van Gogh oder Mondrian vorgelebt, wie man mit Kunst in der Mode verfahren kann. Das war bahnbrechend. Heute würde man ihn wahrscheinlich verklagen. Wenn ich mich in der Mode mit Kunst auseinandersetze, dann versuche ich Farb- und Lichtwelten nachzuspüren, Konstruktionsprinzipien zu verstehen.

STANDARD: Die Kunst ist heute in der Mode allgegenwärtig ...

Kriemler: Ja, alle beschäftigen sich damit. Mir ist das zu populär. Es ist sehr einfach geworden, mit Digitaldrucken zu arbeiten, das trägt viel dazu bei.

STANDARD: Wird Kunst nicht oft einfach nur zu Marketingzwecken eingesetzt?

Kriemler: Ja, da geht es um große Summen. Aber das interessiert mich nicht. Als ich vergangenes Jahr unsere Jubiläumskollektion vorbereitete, habe ich den Dialog mit Thomas Ruff gesucht - und mit seinen Kunstwerken. Wir haben gedruckt, gestickt, gepatcht, wir haben sogar mit LED gearbeitet. Aber es ging nie um eine bildliche Umsetzung, es ging um den Transfer.

STANDARD: Sie haben John Neumeiers Ballett "Verklungene Feste / Josephs Legende" ausgestattet, das gerade in Wien Premiere hatte. Was hat Sie daran gereizt?

Kriemler: Ballett ist eine absolute Nischenangelegenheit. Auch bei dieser Arbeit hat mich das Urthema von Loos interessiert, die Funktionalität. Bei Akris haben wir den Anspruch, Kleider für Frauen von heute zu machen. Sie müssen funktionell sein, das ist eine Grundbedingung. Beim Ballett wollte ich sehen, ob ich Kleider machen kann, in denen sich auch Balletttänzer wohlfühlen.

STANDARD: Im Ballett geht es genauso wie in der Mode um den perfekten Körper. In der Kunst wird dieser hingegen oft problematisiert. Wie verhalten Sie sich dazu?

Kriemler: Ich arbeite nicht nur für den perfekten Körper, ich möchte für reale Frauen Kleider machen. Ich will wissen, wie ein Kleid auf der Straße getragen wird.

STANDARD: Es gibt Modemacher, die sich gern mit dem Hässlichen beschäftigen. Sie auch?

Kriemler: Nein, ich habe Freude an schönen Dingen, das Zusammenspiel von Farbe, Form und Silhouette muss ästhetisch sein. Bei meiner Mode geht es in erster Linie um die Frau. Am schlimmsten finde ich, wenn man zuerst ein Kleid betrachtet, bevor man einen Menschen wahrnimmt.

STANDARD: Das perfekte Kleid ist jenes, das man nicht sofort wahrnimmt?

Kriemler: Ja, so ist es. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 20.2.2015)