Als ihren größten privaten Erfolg bezeichnet Helene Jarmer, dass sie die Matura geschafft hat.

Foto: christian fischer

Dass die Gebärdensprache 2005 in Österreich verfassungsrechtlich als vollwertige Sprache anerkannt wurde, bezeichnet Helene Jarmer als ihren größten politischen Erfolg. Ihr größter privater Erfolg sei schlicht, dass sie die Matura geschafft habe. Das war für die 1971 in Wien geborene Politikerin, die seit 2009 die erste gehörlose Abgeordnete im Nationalrat ist, alles andere als selbstverständlich. Erst mit zwei Jahren verlor sie als Kind gehörloser Eltern bei einem Unfall das Gehör. Nur durch einen Trick gelang es, dass sie eine Schwerhörigenschule besuchen durfte. "Mein Vater hatte das genau geplant", gebärdet sie, "ich sollte so tun, als ob ich ein wenig hören könnte. Es gelang." Gebärdensprache wurde damals an keiner Schule unterrichtet.

Der Druck sei enorm gewesen: "Als herauskam, dass ich eigentlich gar nicht hören konnte, wurde verlangt, dass ich nur Einser und Zweier schreibe. Meine Eltern waren sehr, sehr streng, haben mich aber auch sehr gefördert. Nur mit ihrer Unterstützung habe ich das geschafft." Überhaupt sei ihr ihr Vater, ein Bildhauer, der als gehörloser Mensch selbst studiert hatte, ein großes Vorbild gewesen. Maturiert hat sie an einer HTL für Maschinenbau – "was mich fachlich null interessiert hat", sagt Jarmer, "aber ich wollte die Matura, unbedingt". Also habe sie sich als einzige und noch dazu gehörlose Frau unter lauter Männern durchgebissen. "Ich hatte in diesen Jahren gar keine Freizeit, das Lehramtsstudium war dann leicht dagegen."

Gesetzestexte in Gebärdensprache

Auch an der Pädagogischen Akademie wurde sie nur ausnahmsweise aufgenommen und musste – anders als alle anderen – schon zu Studienbeginn einen Arbeitsplatz vorweisen. Danach war sie elf Jahre am Bundesinstitut für Gehörlosenbildung als Lehrerin tätig. Bei der Nationalratswahl 1999 kandidierte sie für das Liberale Forum. "Mein Engagement für das LIF hat sich über Marco Smoliner ergeben", erzählt sie, "durch meine politische Tätigkeit habe ich Kontakte zu den Grünen geknüpft, deren Behindertensprecherin ich heute bin."

"Zwischenrufe höre ich nicht", erzählt sie lachend über ihre Arbeit im Parlament. "Schreien nützt nichts" ist auch der Titel ihres Buches. "Da hat eine klare Sensibilisierung stattgefunden. Als ich begonnen habe, gab es große Zweifel, ob es möglich ist, alle Gesetzestexte in Gebärdensprache zu übersetzen. Inzwischen ist klar, es geht also doch."

Zu wenige DolmetscherInnen

Aber es gebe in Österreich noch immer nur 100 Gebärdensprachendolmetscher, die einem Bedarf von 900 gegenüberstünden. "Vor allem am Land ist das schwierig. Es sollte zur Normalität werden, dass gehörlosen Menschen beim Elternsprechtag oder beim Arzt ein Dolmetscher zur Verfügung steht." Wichtig sei ihr auch die Einrichtung einer zentralen, rund um die Uhr besetzten Notrufstelle für gehörlose und schwerhörige Menschen.

Helene Jarmer hat mit ihrem Mann, einem Spanier, eine hörende Tochter. Diese wächst fünfsprachig auf: Neben Deutsch, Englisch und Spanisch in Lautsprache kann sie die österreichische und spanische Gebärdensprache. "Wenn ich mit meiner Mutter in den 70er-Jahren auf der Straße gebärdet habe, haben wir uns noch geschämt. Das ist heute zum Glück nicht mehr so." (Tanja Paar, dieStandard.at, 19.2.2015)