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Kämpfer der besonders gefürchteten irakischen Schiitenmiliz Asaib al-Haq posieren auf zerstörten IS-Fahrzeugen nahe Tikrit.

Foto: EPA/ALI MOHAMMED

Bagdad/Wien - Die Berichte über Verbrechen von irakischen schiitischen Milizen in Gebieten, die sie vom "Islamischen Staat" (IS) befreien, haben sich zuletzt gehäuft - ein Vorfall, der es auch in die westlichen Medien schaffte, war etwa die Erschießung von 72 unbewaffneten sunnitischen Zivilisten im Dorf Barwanah Ende Jänner. Bagdad nennt die Täter "Kriminelle", die Milizenführer versichern, die befreiten Gebiete seien auch für Sunniten sicher - aber einzelne Milizionäre sagen dann vor Journalisten doch, was Sache ist: "Kollaborateure" sind schlimmer als Terroristen und werden dementsprechend behandelt.

Mit den Erfolgen gegen die IS auf dem Boden wächst das Problem mit den an die irakische Armee höchstens lose angeschlossenen Schiitenmilizen. Ihre Taten konterkarieren die Versuche von Premier Haidar al-Abadi - aber auch der höchsten schiitischen geistlichen Instanz in Najaf, Ayatollah al-Sistani - den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen.

Boykott in Bagdad

Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen zudem unter großem Druck, wenn ihre Kooperation in Bagdad nicht dazu beiträgt, ihre Klientel zu schützen. Teilweise haben sie in den vergangenen Tagen Kabinetts- und Parlamentssitzungen boykottiert. Dass bei einer solchen Sitzung die schiitischen Abgeordneten die Gelegenheit ergriffen haben, einen Gesetzesentwurf für die Schaffung lokaler Nationalgarden abzuändern - die als neue sunnitische Kraft konzipiert waren -, ist nur ein weiteres Detail, das böses Blut erzeugt.

Die aktuelle Krise in Bagdad wurde durch die Entführung und Ermordung eines angesehenen sunnitischen Scheichs mit mehreren Begleitpersonen am vergangenen Freitag ausgelöst. Ein paar Tage zuvor waren in Anbar ebenfalls zwei Stammessunniten umgebracht worden, die in einem Auto mit saudi-arabischem Kennzeichen unterwegs waren.

Ermordung von Sunniten

Scheich Qassem Sweidan al-Janabi, der sich für die Rückkehr von schiitischen Milizen vertriebenen Sunniten in ihre Heimatgebiete starkgemacht hatte, wurde mit seinem Sohn und seinen Leibwächtern an einem der vielen falschen Checkpoints angehalten, in den schiitischen Stadtteil Sadr-City in Bagdad verschleppt und dort umgebracht.

Die Sorgen der Sunniten und säkularer Schiiten gehen aber über das Unwesen der irakischen Schiitenmilizen hinaus, die teilweise bereits aus dem Bürgerkrieg bekannt sind, aber auch als neue "Volksmobilisierungskräfte" aus dem Boden schießen. Der Kampf gegen IS hat der Präsenz von ausländischen schiitischen Kämpfern Tür und Tor geöffnet.

Der Kommandant der iranischen Al-Quds-Brigaden, Ghassem Soleimani, ist auf zahlreichen Fotos mit schiitischen Milizen, aber auch mit kurdischen Peschmerga zu sehen. Auch der Chef der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat zu Wochenbeginn zum ersten Mal offen davon gesprochen, dass die Hisbollah auch im Irak präsent ist - nicht nur in Syrien, wo sie entscheidend am Kampf der Regimetruppen von Bashar al-Assad gegen Rebellen und Jihadisten beteiligt ist.

"Schlacht auf dem Golan"

Mittlerweile soll sich Soleimani dem Schlachtfeld Golan/Südsyrien zugewandt haben, wo das syrische Regime mit Hisbollah-Unterstützung eine Offensive gegen die mit Al-Kaida assoziierte Nusra-Front begonnen hat. Der Hisbollah-Sender Al-Manar verkündete vor einer Woche den Beginn der "Schlacht auf dem Golan". Das strategische Ziel für das Regime ist die Kontrolle über die Route Damaskus-Deraa.

Als ob ihre Präsenz und Stärke auf den beiden Kriegsschauplätzen nicht genug wäre, prahlen die Iraner auch noch kräftig damit: Soleimani verkündete in seiner Heimatstadt Kerman anlässlich des Revolutionstages das baldige Ende des "Islamischen Staats" - und pries den wachsenden Einfluss Irans in der Region. Er erwähnte dabei auch ausdrücklich Bahrain und den Jemen, beides wunde Punkte für die arabischen Sunniten. In Bahrain wird der Iran beschuldigt, hinter den Unruhen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit zu stehen. Im Jemen hat mit den Huthis eine schiitische Gruppe die Kontrolle über den Norden und die politische Macht übernommen. Während die iranischen Hardliner die Golfaraber also in ihrer Angst vor schiitischen Masterplänen bestätigen, versucht die Regierung von Hassan Rohani, die Beziehungen zu Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten zu verbessern. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 18.2.2015)