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Das Gebäude der EZB in Frankfurt ist zwar heute keine Baustelle mehr. Die Politik der Notenbank könnte aber eine werden. Denn es fehlen in Europa Erfahrungswerte für Anleihenankäufe. Offen ist auch, ob die Banken überhaupt so viele Anleihen verkaufen wollen, wie die EZB aufkaufen möchte.

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Die EZB wird die Folgen eines Grexit abfedern, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank. Er erklärt auch, warum die Notenbankpolitik im heurigen Finanzjahr im Zentrum steht und die Inflation mit dem Wirtschaftswachstum nicht mehr im Gleichklang ist.

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STANDARD: Griechenland wird nun wohl doch um eine Verlängerung der Kredite bitten – ist ein Grexit damit vom Tisch?

Kater: Er ist damit wieder etwas in die Ferne gerückt. Aber die Strategie Griechenlands ist weiterhin nicht ersichtlich und ungewöhnlich, daher kann es durchaus sein, dass in den weiteren Verhandlungen wieder Sackgassen erreicht werden. Aber es ist schon ein Signal dafür, dass die griechische Regierung erkannt hat, dass sie kein Mandat hat für den Austritt aus dem Euroraum. Dafür ist sie nicht gewählt worden.

STANDARD: Das Schreckensszenario eines Grexit war zuletzt nicht mehr so groß wie noch auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. Warum?

Kater: Vor drei Jahren haben wir über Dominoeffekte gesprochen. Die Staatsanleihen anderer Länder waren den internationalen Finanzmärkten ausgesetzt. Da haben einzelne spekulative Angriffe gereicht, um ganze Lawinen gegen Staatsanleihen einzelner Mitgliedsländer in Gang zu setzen. Vor drei Jahren wären nach Griechenland auch schnell Spanien und andere Länder anspekuliert und damit vielleicht zum Euroaustritt gezwungen worden. Das ist durch die EZB effektiv verhindert worden, weil sie sich als Gegenseite in den Markt stellen würde. Daher ist jetzt kein Dominoeffekt mehr zu erwarten. Dass die Märkte auf ein Grexit-Szenario bisher nicht reagiert haben, zeigt, dass diese Schutzmauer als glaubwürdig angesehen wird.

STANDARD: Auch wenn am Finanzmarkt mit keinen Verwerfungen zu rechnen ist, politisch wäre das schon eine neue Einordnung ...

Kater: Ja, es würde bedeuten, dass der Euro umkehrbar wäre, und das wäre eine neue Eigenschaft des Euroraums, die man bisher ausgeschlossen hat. Der Markt hat ein langes Gedächtnis. Immer wenn Länder in ökonomischen Schwierigkeiten wären, würde man sich an Griechenland erinnern und daran, dass ein Austrittsmechanismus funktioniert. Es wird dann immer Parteien geben, die sagen, dass es außerhalb des Euroraums besser ist. Damit steigt die Gefahr von weiteren Austritten. Die Märkte würden vor europäischen Wahlen dann häufig stärker schwanken und der Euroraum in Summe an Vertrauen verlieren.

STANDARD: Dass ein Austritt einen Vorteil bringt, ist so aber noch nicht festgeschrieben ...

Kater: Das ist ein wichtiger Punkt. Man weiß nicht, wie es einem Land geht, das den Euroraum verlässt. Die Belastungen Griechenlands wären enorm. Man könnte die Importe nicht bezahlen, weil der Euro wieder eine Devise ist, die man nicht drucken kann – das würde zu Versorgungsengpässen führen. Das ist das größte Problem am Beginn. Bis die Abwertung der eigenen Währung dazu führt, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt, dauert es sechs Monate bis zu einem Jahr. Findet man für dieses erste Jahr einen Geldgeber, kann man die Belastungen verringern und sogar die eigene Währung dazu einsetzen, Wohltaten zu verteilen.

"Die Märkte beobachten und teilen die Ereignisse danach ein, ob sie regionale oder überregionale Bedeutung haben."
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STANDARD: Es heißt in der Finanzwelt ja: "Politische Börsen haben kurze Beine." Sieht man sich die Märkte seit Jahresbeginn an, könnte man meinen, die politischen Börsen haben gar keine Beine. Die Probleme in Griechenland und der Russland/Ukraine-Konflikt haben nur an den lokalen Märkten für Verwerfungen gesorgt – eine Schockwelle blieb aus. Warum?

Kater: Das ist eine einfache Gleichung: Die Märkte beobachten und teilen die Ereignisse danach ein, ob sie regionale oder überregionale Bedeutung haben. Die wirtschaftlichen Bedeutungen aller militärischen Konflikte waren bisher regional begrenzt – das Ausstrahlpotenzial hat man sich im Vorjahr schon ausgerechnet, also etwa die geringen Exporte nach Osteuropa sowie andere Sanktionseffekte. Das ist an den Märkten verdaut. Das heißt aber nicht, dass diese Rechnung nicht jederzeit wieder aufgemacht werden kann. Erkennen die Märkte eine überregionale Bedeutung – etwa bei einer Ausweitung des militärischen Konflikts –, dann wird neu bewertet. Das ist schon ein Damoklesschwert, das über Europa hängt.

STANDARD: Die vereinbarte Waffenruhe war bis zuletzt brüchig. Wird sich die Situation beruhigen?

Kater: Eine zukünftige Einschätzung dieser Lage ist schwer. Die Märkte haben die Arbeitshypothese, dass der Konflikt eingedämmt werden kann – dazu zählt auch das Abkommen von Minsk. Politische Ereignisse kann man nicht prognostizieren. Die Entwicklungen müssen beobachtet werden.

STANDARD: Die Wirtschaft ist sowohl in Russland als auch in der Ukraine eingebrochen. Investoren sind abgezogen und skeptisch. Gehen wir von einer Beruhigung der Lage aus – wie lange dauert es, bis diese Länder den Konflikt verdaut haben werden?

Kater: Es braucht ein bis zwei Jahre nach einem solchen Konflikt, bis man dem Frieden traut. Dann jedoch sind die Potenziale groß und das Wachstum überdurchschnittlich. Man darf nicht vergessen, dass in diesen Konfliktzeiten auch viel zerstört wurde. Das BIP pro Kopf der Ukraine war Anfang der 1990er-Jahre etwa auf dem Niveau von Polen und ist jetzt weiter abgefallen. Daran sieht mach auch, wie sich ein Land unterschiedlich entwickelt, wenn es politische Stabilität gibt. Da hat die Ukraine als eines der wirtschaftlich schwächsten Länder in Europa noch sehr viel aufzuholen.

"Man hatte bisher immer geglaubt, die Nullgrenze ist die Untergrenze. Das ist nicht mehr der Fall."
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STANDARD: Die Politik der Notenbanken sorgt derzeit für Diskussionen. Die Fed wird heuer noch die Zinsen anheben, was für die Märkte spannend wird. Die EZB startet ein Mega-Anleihenkaufprogramm. Welche Erwartungen gibt es diesbezüglich?

Kater: Hierzulande ist zu erwarten, dass das Zinsniveau sich stabilisiert und damit extrem niedrig bleibt, weil die Wucht der Anleihenkäufe immens ist. Erstaunlich daran ist, wie die Notenbanken in der Lage sind, auch negative Zinsen einzustellen. Man hatte bisher immer geglaubt, die Nullgrenze ist die Untergrenze. Das ist nicht mehr der Fall. Wir haben in vielen Teilen des Finanzmarktes heute schon negative Zinsen. In den USA geht es in die andere Richtung. Die USA sind den Europäern mindestens drei, vier Jahre voraus – deswegen ist der Zinsabstand auch historisch groß. Das Auseinanderfallen des Zinsniveaus wird weitergehen – und damit verbunden auch die Währungsbewegung.

STANDARD: Dass die EZB Anleihen aufkaufen will, ist das eine. Aber stehen auf der anderen Seite die Banken da und wollen diese Papiere auch verkaufen? Und was passiert, wenn die EZB ihre angekündigten Volumina nicht erreicht?

Kater: Das ist die Achillesferse des Programms. Es ist so groß dimensioniert, dass die EZB auf Schwierigkeiten stoßen könnte, ausreichend Material aufzutreiben, weil die Banken gar keine Lust haben, andere Papiere als Staatsanleihen zu halten. Da wird man ihnen schon einen sehr hohen Preis bieten müssen. Aber die EZB kann den Kreis der Anleihen erweitern – also auch Unternehmensanleihen kaufen oder jene von anderen halböffentlichen Institutionen oder Gebietskörperschaften.

STANDARD: Die Idee der Anleihenkäufe ist ja, dass die Banken mit Geld vollgespült werden und kaum noch eine andere Chance haben, als Kredite zu vergeben. Wird das aufgehen? Die niedrigen Zinsen und das billige Notenbankgeld haben bisher die Kreditvergabe und damit das Wirtschaftswachstum ja auch nicht angefacht ...

Kater: Das ist die große Unbekannte bei dem Programm. Man hat diese Art von Geldpolitik bis jetzt noch nicht ausprobiert und wird hier Erfahrungen sammeln. Es gibt Grund zur Skepsis: Das Bankensystem wird durch regulative Vorgaben daran gehindert, die gewünschten Portfolioeffekte umzusetzen. Andere Papiere zu kaufen heißt für Banken, mehr Risiko einzugehen, die wiederum mit mehr Eigenkapital zu hinterlegen sind. Die Banken sollen einerseits sicherer werden und Kredite abbauen, andererseits sollen sie die Wirtschaft nun damit ankurbeln. Beides wird nicht gehen.

STANDARD: Wie wird man denn messen können, ob das Anleihenkaufprogamm ein Erfolg ist oder nicht?

Kater: Das fragen sich die Märkte auch. Die bisherige Aussage ist, dass die Inflationserwartungen sich wieder Richtung zwei Prozent begeben sollen. Aber woran die EZB das konkret festmacht, hat sie bisher nicht mitgeteilt. Die Gefahr besteht darin, dass die Märkte sich mangels Vorgaben der EZB eigene Indikatoren definieren, und je nachdem, wie diese Indikatoren 2016 ausfallen, könnte das am Kapitalmarkt zu Schwankungen führen, weil je nach Datenlage ein Ende oder ein Weiterführen des Anleihenkaufprogramms ein- und ausgepreist wird. Hier wird die EZB noch etwas Führung geben müssen.

STANDARD: Die Inflation und das Wirtschaftswachstum laufen derzeit gegengleich. Was muss passieren, dass diese Parameter wieder so verlaufen, dass sie der Realität entsprechen?

Kater: Die Inflationsdynamik ist zurzeit ungewohnt. Es gibt vermutlich neue Einflussfaktoren auf die Inflationserwartungen, wie etwa die Belastung der Wirtschaft durch hohe Schulden. Auch wissen wir nicht, wie sich die demografischen Entwicklungen auf Wirtschaft und Inflationsgeschehen auswirken. Das Wirtschaftssystem ist nicht statisch, es verändert seine Gesetzmäßigkeiten, und wir merken, dass einige alte Gesetze nicht mehr gelten. Auf der anderen Seite darf man nicht zu voreilig eine neue Welt ausrufen, denn oft genug holen einen die alten Gesetze wieder ein. Meine Vermutung lautet, dass die Kopplung von Inflation und Wirtschaftsdynamik in den kommenden Jahren langsam wieder einsetzen wird.

"Es gibt die einfache Holzhammermethode nach dem Motto 'Viel hilft viel'. Das haben wir in den USA gesehen, da gab es mehrere Anleihenkaufprogramme. Die Wirkungen der neuen Programme wurden an den Märkten aber von Mal zu Mal schwächer."
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STANDARD: Spricht das eher für ein Deflationsszenario?

Kater: Euroland ist nicht Japan. Hierzulande herrscht trotz aller Diskussion mehr Reformbereitschaft. Das sollte mittelfristig für eine stärkere wirtschaftliche Dynamik sorgen. Inwieweit demografische Faktoren für die Inflationsentwicklung eine Rolle spielen, ist schlichtweg noch zu wenig untersucht.

STANDARD: Nach Nullzinsen, Anleihenkaufprogrammen ... was bleibt denn den Notenbanken noch, wenn diese Programme nicht die gewünschten Wirkungen erzielen?

Kater: Die Fantasie hört irgendwann auf. Es gibt die einfache Holzhammermethode nach dem Motto "Viel hilft viel". Das haben wir in den USA gesehen, da gab es mehrere Anleihenkaufprogramme. Die Wirkungen der neuen Programme wurden an den Märkten aber von Mal zu Mal schwächer. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die unkonventionellen Methoden irgendwann erschöpft. Es gibt noch akademische Ideen, den Staat oder die Wirtschaft direkt zu finanzieren. Aber hiervon sind wir noch weit entfernt.

STANDARD: Hat Amerika die Finanzkrise bereits hinter sich gelassen?

Kater: Mehr als Europa. Ob absolut, weiß man erst, wenn die anstehenden Zinserhöhungen konjunkturell verkraftet werden. Die Schuldenrelationen etwa der privaten Haushalte haben sich verbessert, aber ein weiterer Schuldenabbau steht auch hier noch an. Der Staat ist höher verschuldet als vor der Krise. Aber die Amerikaner sind bereits näher dran an der Normalisierung – die sich aber auch durch geringeres Wachstum und geringere Zinsen als vor der Krise auszeichnen sollte.

STANDARD: Und wie nahe ist Europa am Ausgang der Krise?

Kater: Vielleicht vier bis fünf Jahre hinter Amerika, und das auch nur dann, wenn weiter auf die Wirtschaftsstrukturen und die Verschuldung im Bankensystem geachtet wird.

STANDARD: Die gemeinsame Bankenaufsicht, die Vorgaben für die Abwicklung von Instituten et cetera – sind das Programme, die in die richtige Richtung gehen?

Kater: Ja. Das Problem dabei ist, dass die neuen Regeln für die künftigen Aktivitäten der Banken gelten. Es bleibt aber die Vergangenheitsbewältigung. Die Altlasten müssen von den Bilanzen verschwinden, damit wieder Risikotragfähigkeit und Vertrauen zurückkehrt.

STANDARD: Der Schuldenberg von Staaten, Banken und teilweise auch im privaten Sektor ist enorm. Schulden werden in Bad Banks ausgelagert, die Notenbanken weiten ihre Bilanzen massiv aus. Wo soll denn der Schuldenberg hin – irgendwann muss das doch abgebaut werden? Die ständige Auslagerungspolitik ist ja nur eine Kosmetik ...

Kater: Wichtig ist, dass der Berg nicht so groß wird, dass er jeden Blick gegen den Himmel versperrt. Die Schulden müssen tragbar werden, indem das Einkommen der Volkswirtschaften ausreichend hoch ist. Solange noch Zinsen auf die Schulden zu zahlen sind, muss das Einkommen sogar wachsen. Damit wird eher das Wirtschaftswachstum zur entscheidenden Größe, nicht der Schuldenabbau. Allerdings darf es auch keine übermäßige Neuproduktion von Schulden geben. Wachstum, ohne starke Verschuldung zu erzeugen, das ist die Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik in den europäischen Ländern. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 19.2.2015)