Bild nicht mehr verfügbar.

"Ein Meister in der Kunst, Recherchiertes mit Erlebtem zu verschmelzen": Die Protagonisten von T. C. Boyles jüngstem Werk sind Wutbürger und junge Männer, die ihren Platz in der Gesellschaft nicht finden.

Foto: APA/Hochmuth
Foto: Hanser

Die Polizei. Die Ausländer. Die Konzerne. Die Drogendealer. Die "da oben". Die anderen. "Die Hölle, das sind die anderen", heißt es in Sartres Drama Geschlossene Gesellschaft. Übertragen auf T. C. Boyles neuen Roman Hart auf hart wird daraus: Der Terror, das sind die anderen. Vielleicht ist es in den letzten Wochen ein wenig in Vergessenheit geraten, aber für blutigen Terror braucht es nicht unbedingt Islamismus.

"Die amerikanische Seele ist ihrem Wesen nach hart, einzelgängerisch, stoisch und ein Mörder. Sie ist noch nicht geschmolzen." Dieses Zitat des britischen Autors D. H. Lawrence (1885- 1930) stellt Boyle dem Roman voran. Nicht der Lawrence "von Arabien", der hieß vorn T. E., sondern der von Lady Chatterly.

"Ich mag dieses Epigraph", so T. C. Boyle, um dann den Referenzrahmen abzustecken: "Es erinnert mich an einige der Figuren, die William Faulkner geschaffen hat, aber auch an ,den Außenseiter', einen Charakter in der Kurzgeschichte A Good Man Is Hard to Find der amerikanischen Schriftstellerin Flannery O'Connor. Der Ursprung der amerikanischen Gewalt ist meiner Meinung nach zu einem Gutteil der Tatsache zuzuschreiben, dass die Vereinigten Staaten einst dieses Land der Pioniere waren, das heute immer noch einige dieser ,Töten oder getötet werden'-Werte hochhält. Ich kann nicht erkennen, dass diese Seele derzeit schmilzt. Wenn überhaupt, ist sie jetzt noch härter gefroren."

Hart auf hart: Carolee und Sten auf Kreuzfahrt. Ein Mittelschicht-Pensionisten-Ehepaar aus einem kleinen nordkalifornischen Dorf. Sten, Schuldirektor im Rentenschock, ist ein mittlerweile 70-jähriger Vietnamveteran, der sich bemüht hat, ein gutes Leben zu führen. Pädagogik statt Kadavergehorsam. Selber kochen statt Fastfood. Toyota Prius - der Umwelt zuliebe.

Das Buch beginnt mit einem Landausflug in den Urwald von Costa Rica. Kaum ist die Gruppe aus dem Bus ausgestiegen, wird sie überfallen. Aber die Sache läuft komplett aus dem Ruder. Und Sten, der fitte Vietnamveteran, tötet einen der Angreifer halb versehentlich. Auf dem Polizeirevier bezichtigt er später einen ihm Vorgeführten, einer der Mittäter zu sein, obwohl er den Mann noch nie gesehen hat. Schaut aus wie ein Verbrecher, und angespuckt hat er ihn bei der Gegenüberstellung auch. Prius und Pädagogik? Weg mit ihm! Das amerikanische Herz ist hart.

Realität und reelle Fiktion

Berühmt wurde der 1948 in Peekskill, New York, geborene T. C. Boyle 1982 mit seinem ersten Roman Wassermusik. "Weil Wassermusik gleich so erfolgreich wurde, hatte ich das Glück, nie Kompromisse machen zu müssen. Ich habe immer nur das geschrieben, was ich wirklich schreiben wollte." Das waren dann einige bedeutende Romane der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Mit Büchern wie Willkommen in Wellville, einer sarkastischen Abrechnung mit dem Fitness- und Gesundheitswahn, Ein Freund der Erde, in dem er sich mit Umweltzerstörung auseinandersetzt, Die Frauen, einer Biografie des Architektengenies Frank Lloyd Wright als Sittengemälde Amerikas während der ersten Hälf- te des 20. Jahrhunderts. Mit diesen und anderen Büchern hat Boyle seinen Ruf als ein mit den Mitteln der Literatur agierender journalistischer Chronist gefestigt. Auch Hart auf hart ist ein Mix aus Realität und reeller Fiktion. "Ich schreibe in dem Buch über den konkreten Fall eines Heckenschützen. Einige Details, wie etwa das Norinco-Gewehr, habe ich direkt den Polizeiberichten entnommen."

Staat raubt Freiheit

Da ist Sara, eine Hufschmiedin. Dem Streifenpolizisten, der sie anhält, sagt sie: "Ich bin eine souveräne Bürgerin." Sie weigert sich, Führer- und Fahrzeugschein zu zeigen und provoziert, was auf derlei Verhalten immer folgt. Denn der Staat existiert nur, um seinen Bürgern die Freiheit zu rauben. Sara ist radikal - aber immerhin rational. Ganz im Gegensatz zu Adam, der eigentlichen Hauptfigur des Romans.

Adam ist der Sohn von Sten und Carolee. Seinen Vater verachtet er für dessen Priuspädagogik und bewundert ihn widerwillig für den Toten in Costa Rica. Adam ist ebenso radikal wie die nahezu doppelt so alte Sara, mit der er ein buchstäblich Trost-loses Verhältnis beginnt. Sex und der Hass auf die Gesellschaft, den Staat und alle anderen auch sind die verbindenden Elemente.

Doch Adam ist auch psychotisch und schizophren. Schon als Schüler fällt er mehrfach mit verrückten Gewaltaktionen auf. Aber hey, ein Bursche in der Pubertät, das wird sich schon irgendwie einrenken. An dieser Hoffnung halten sich Carolee und Sten so lange fest, bis sie jeden Halt verloren haben.

Adam ist jetzt Colter. John Colter, ein mythisch verklärter amerikanischer Trapper, war Anfang des 19. Jahrhunderts eine Mischung aus Lederstrumpf, MacGyver und Rambo. Sein historisch belegtes Meisterstück war die Flucht vor einem Indianerstamm - nackt und barfuß, 500 Kilometer weit bis zum nächsten Fort. Das ist die Härte, von der Adam glaubt, er habe sie als Colter. Waffen (Norinco-Gewehr) und eine autodidaktische pfadfinderisch-militärische Ausbildung inklusive.

Überall Aliens

Leider ist er nur ein, wenn auch körperlich sehr kräftiges, verwirrtes Bubi. Immerhin weiß er, dass sich in seinem Kopf manchmal wirre Rädchen drehen, und er weiß, dass überall "da draußen" Aliens sind. Ob es sich dabei um Außerirdische oder Ausländer handelt, egal. Der Feind hat viele Gesichter, und er muss bekämpft werden. Mit allen Mitteln.

T. C. Boyle ist ein Meister darin, ernste Themen locker zu erzählen. Die spannende Geschichte fließt leicht dahin und gleitet elegant in die Abgründe der amerikanischen Seele. "Ich kann nicht für die westliche Zivilisation in ihrer Gesamtheit sprechen, aber in den USA schaukelt sich die Waffenkultur weiter hoch, sodass solche Vorfälle immer häufiger werden." Apropos Vorfall: "Die jüngsten Terrorattentate in Paris liegen außerhalb des Horizonts dieses Romans. In Hart auf hart geht es mir um das Phänomen des labi- len, alleinstehenden, weißen Mannes, der, ausgestattet mit automatischen Waffen, seine Psychosen auf die ganze Gesellschaft überträgt."

Sara fühlt sich von Adams "Ernsthaftigkeit" angezogen, aber auch von seinem jungen, kraftstrotzenden Körper. Die scheinbare Petitesse mit Saras Führerschein hat noch ein Nachspiel. Weil er nach einer Polizistin geschnappt hat, kommt Saras Hund vorübergehend ins Tierheim. Daraufhin zettelt sie eine kleine Privatfehde gegen die an. Mit "Colter" als ihrem treuen Soldaten. Doch der zieht wirklich in den Krieg. Und im Krieg spielen auch die engen dörflichen Bindungen keine Rolle mehr. Das harte Herz hat das Kommando übernommen.

Boyles Erzählungen sind auch deshalb von so überzeugender Plastizität, weil er ein Meister darin ist, Recherchiertes mit Erlebtem zu verschmelzen. In Gesprächen sagt er immer wieder Varianten des Satzes "Als ich für dieses Buch recherchiert habe, habe ich erfahren ...".

Andererseits ist er ein scharfer Beobachter seiner Umgebung und seiner selbst. Sten und Carolee sind schon seit ihrer Studentenzeit ein Paar, genau wie Boyle und seine Frau Karen. Die mannigfachen, auch nonverbalen Kommunikationsrituale eines älteren kalifornischen Ehepaars muss er nicht lange recherchieren. Ebenso wenig wie die Beziehung Saras zu ihrem Hund, der unter anderem Namen und in Schwarz ein sehr glückliches Leben im Hause Boyle führt. Lustigerweise liegen die Grenzen der Methodik für ihn selbst in der praktischen Anwendung. In seinem Roman San Miguel beschreibt er die Zubereitung von Kaffee so liebevoll, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als diese Kunst zu perfektionieren. Den Kaffee, den er selbst kocht, kann man jedoch bestenfalls als amerikanisch bezeichnen.

Das waffenfanatische Amerika ist (auch kulturell) ganz weit von Europa entfernt. Doch junge Männer, die ihren Platz in der Gesellschaft nicht finden, und zornige Bürger, die sich vom Staat gegängelt und bevormundet fühlen, gibt es auch hier zuhauf. Einige davon haben einen psychischen Schaden, andere vielleicht "nur" zu wenig Sex, Geld und/oder Selbstbewusstsein - und greifen irgendwann zu den Waffen. "Der Terror, das sind die anderen." Die Polizei, die Konzerne, die da oben. Die Aliens. Die jungen, labilen Männer. (Hannes Höttl, Album, DER STANDARD, 21./22.2.2015)