Es kommt immer drauf an, wer etwas sagt und in welchem Kontext. So stammt etwa der Sager "Was soll schon passieren? Man kann nur einmal zum Rollstuhlfahrer werden" von jemandem, der gerade mit einem Affenzahn einen Hang hinuntergeglüht ist und nach einem gewaltigen Satz über eine Kante in dramatischer Schräglage landete - auf einem Monoski.

Der Gepatschferner ist der zweitgrößte Gletscher Österreichs. Ein barrierefreies Skigebiet würde man hier heroben nicht vermuten.
Foto: Tirol Werbung/Kaunertaler Gletscherbahnen

Als dieser junge Mann an der Talstation des Kaunertaler Weisseefernerliftes abschwingt, strahlt er. Skifahren, sagt er, sei Freiheit. Schwerelosigkeit, Unbeschwertheit. Der Moment, in dem die Behinderung nicht existiere. Jene, die ihn seit einem Verkehrsunfall an den Rollstuhl bindet. Und jene, die durch einen einzelnen Ski, auf dem ein gewaltiger Stoßdämpfer und ein Sitz befestigt wurde, wieder wie aufgehoben erscheint. Er lenkt seinen Monoski durch Gewichtsverlagerung und mit zwei kurzen Skiern, die am Ende von zwei Stöcken befestigt sind und an den Unterarmen festgeschnallt werden.

Mitdenken und Taten folgen lassen

Eine Behinderung sei eher etwas, das einem die Umwelt aufbürdet, erklärt er. Selten aus Bösartigkeit, öfter aus Gedankenlosigkeit. "Vor dem Unfall", sagt der 32-jährige EDV-Techniker aus dem Schwarzwald, "war ich auch so. Wer nicht damit konfrontiert ist, denkt nicht drüber nach."

Thomas Rottenberg

Umso auffälliger ist es, wenn Nicht-Betroffene mitdenken und Gedanken Taten folgen lassen. Monoskifahren ist an sich überall möglich, es bleibt aber oft die Frage, wie der Rollstuhlfahrer vom Auto zum Lift kommt. Auch Liftpersonal und Hüttenwirte sollten wissen, wie man einem Monoskifahrer die Benutzung von Liften, Selbstbedienungslokalen und Toiletten ermöglicht. Selbst gehende Wintersportler tun sich auf den Treppen zu den Nassräumen vieler Skihütten schwer.

Europas bestes Monoskigebiet

Im Kaunertal ist man auf solche Anforderungen gut vorbereitet. Die Tiroler Gletscherregion mit ihrem übersichtlichen, familienfreundlichen Ganzjahresskigebiet hat sich einen Namen als barrierefreies Skigebiet gemacht und dafür zahlreiche Preise gewonnen. Darunter den Eden Award 2013, eine Auszeichnung der Europäischen Kommission zur Förderung nachhaltiger Tourismusmodelle.

Foto: Tirol Werbung/Klaus Kranebitter

Doch schon vorher war das Kaunertal "Europas bestes Monoskigebiet", sagt Alois Praschberger. Er sitzt seit 1978 im Rollstuhl. Ein Motorradunfall. Praschberger war und ist Maschinenschlosser. Das erste, was der heute 58-Jährige nach seinem Unfall tat, war seinen Rollstuhl umzubauen: "Damals gab es nur diese 30-Kilo-Panzer, völlig unbeweglich." Der Mechaniker tüftelte bald auch an Skiern herum. Heute ist er ein bekannter Monoski-Konstrukteur. Um Rollstuhlfahrer zum Skisport zu bringen, bietet er zudem Schnupperkurse an. "Dafür braucht man eine Region mit passender Infrastruktur: Hotellerie, Lifte, Gastronomie und die Einstellung der Leute - da muss alles stimmen, sonst schafft man nur Frustration."

Die Skepsis der Neunziger

Nicht nur der Monoski-Bauer Praschberger steigt in der Region gerne im Hotel Weisseespitze von Charly Hafele ab. Das Viersternehaus heimste schon mehrere Preise für seine Barriefreiheit ein. Als Hafele in den 1990er-Jahren die Motorrad- und Rollstuhlfahrer bei sich im Haus zusammenbringen wollte, schlug ihm allerdings Skepsis entgegen. Kredit gewährende Banken und die Lokalpolitik hätten alleine beim Wort "Behinderung" die Nase gerümpft.

Foto: Klaus Kranebitter

Heute entfällt von den 38.000 Nächtigungen pro Jahr fast die Hälfte auf Rollstuhlfahrer und deren Angehörige. Hausgästen ohne Einschränkungen fällt es oft gar nicht auf, dass vom Wellnessbereich über die Zimmer bis hin zum Frühstücksbuffet praktisch alles barrierefrei gestaltet ist. "Es gibt keinen Grund, dass ein so konzipierter Betrieb die Atmosphäre einer Klinik haben muss", sagt Hafele. Und dass Motorrad- und Rollstuhlfahrer als Gäste nicht zusammenpassen, hat der Hotelier zwar immer wieder gehört, aber selbst kein einziges Mal erlebt. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, 20.2.2015)

Info: Kaunertal Naturpark & Gletscherregion, Alois Praschberger Rolltechnik & Sport