Mir wurde einmal vorgehalten, ich würde durch mein Trans*Sein das Thema "Geschlecht" in den Vordergrund rücken und diesem Konstrukt somit erst Gewicht geben. Als wäre es sonst quasi nicht da. Es stimmt, dass Trans*Sein fast unweigerlich "Geschlecht" thematisiert. Das heißt, es fällt einem oder einer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf, was jedoch auch ohne der Normabweichung "Trans*" die ganze Zeit passiert und da ist, nur eben normalisiert und demnach meist unbemerkt: nämlich, wie weit die Präsenz und Relevanz dieser Identitätskategorie eigentlich reicht, und wie diese ständig sogar unsere intimsten Bereiche durch und durch definiert.

Wer mir das nach wie vor nicht glauben möchte, möge einfach einmal den Versuch wagen, jemandem in ihrem oder seinem sozialen Umfeld über eine fremde Person zu erzählen, und dabei möglichst lange deren Geschlechtszugehörigkeit auszusparen (was bezeichnenderweise bereits eine grammatikalische Herausforderung sein kann). Seht dann einfach, wie lange es dauert, bis die Frage danach kommt. Komisch eigentlich, denn das passiert bei anderen Merkmalen, nach denen wir Menschen ebenso gruppieren können (etwa Augenfarbe oder Schuhgröße) deutlich seltener und abhängiger vom Kontext. Geschlecht spielt hingegen fast immer eine Rolle.

Aber was genau wollen wir eigentlich wissen, wenn wir nach dem Geschlecht einer Person fragen?

Wird es ein Mädchen oder ein Junge?

Bereits vor der Geburt werden Menschen in genau eine von zwei sich gegenseitig ausschließenden Kategorien eingeteilt, die sie für ihr Leben lang bestimmen werden, wobei eine Änderung dessen nicht vorgesehen ist – und wer trans* ist, der oder dem fällt meist auch auf, wie schwierig es ist, diese Zuschreibung wieder loszuwerden (ein zugegebenermaßen etwas aufwändigerer Selbstversuch, der aber aufgrund seines Aufschlussreichtums von mir empfohlen werden kann). Nachdem wir Neugeborene jedoch nicht einfach fragen können, machen wir diese Einteilung an einer von uns durchgeführten Interpretation des Körpers fest – genauer gesagt, einer ganz bestimmten Körperregion. Anders ausgedrückt: Wenn wir werdende oder bereits seiende Eltern nach dem Geschlecht des Kindes fragen, dann interessieren wir uns eigentlich für dessen Genitalien. Eigentlich ein bisschen viel, so eine Frage.

Bist du schon umoperiert?

Ähnlich verhält es sich, wenn Trans*Personen danach gefragt werden, ob sie denn schon "umoperiert" worden seien. Ich selbst habe diese Frage auch schon von mir kaum bekannten Personen gehört. Es ist ja sehr schön, wenn ein solches Interesse an einer/einem – oder einer gewisser Körperregion – besteht. Aber mal ehrlich, liebe Leute: Ihr fragt gerade einen fremden Menschen, was er denn zwischen seinen Beinen hat. Und eine solche Frage geht den meisten ja wohl wortwörtlich unter die Gürtellinie.

(c) Mike

Aber wonach fragen wir dann eigentlich, wenn wir endlich wissen wollen, ob es sich bei der Person in einer Erzählung oder bei dem androgynen Menschen vor uns um eine Frau oder einen Mann handelt? Fragen wir etwa nach dem berühmten Chromosomensatz, auf den sich viele biologistische Argumente berufen? Ich bezweifle nämlich eigentlich stark, dass die meisten von uns ihren eigenen Chromosomensatz tatsächlich jemals überprüfen haben lassen und diesen somit "kennen".

Wer wird's denn besser wissen?

Seltsamerweise halten jedoch wenige das Identitätsgeschlecht – also jenes Geschlecht, zu dem sich eine Person zugehörig fühlt – für eine sichere Ausgangsbasis, um auf deren Geschlechtszugehörigkeit schließen zu können. Denn dann würde die Definitionsmacht über die eigene Identität ja über die Deutungshoheit anderer gehen. Und aus irgendeinem Grund darf das nicht passieren. Also jep: Wenn Mensch sich, durch Transidentität bedingt oder nicht, mit Konstrukten wie "Geschlecht" beschäftigt, dann fallen einem oder einer schon seltsame Dinge auf, und unter Umständen werden diese dann auch offengelegt und thematisiert. (Mike, dieStandard.at, 23.2.2015)