Claus J. Raidl mischte die ÖVP lieber vom Spielfeldrand aus auf, Sohn Gregor Michael läuft für die Neos in Wien aufs Feld.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Ihr Vater Claus gehört quasi zum ÖVP-Adel, hätte in der Volkspartei vermutlich alles werden können, hat es aber immer bei der Beraterrolle belassen. Warum sind Sie bei den Neos gelandet, für die Sie nun als Spitzenkandidat für Wien-Innere Stadt selbst aktiv sind?

Gregor Raidl: Ich bin im Juli 2013 aus der Türkei zurückgekommen, wo ich fünf Jahre gearbeitet hatte, und da habe ich gesehen, dass sich in Österreich eigentlich nichts verändert hatte. Weder die Bildungsreform noch eine Pensionsreform waren angegangen worden, auch in Verwaltung und Föderalismus war alles beim Alten geblieben. Es war wirklich völliger Stillstand. Darum bin ich Neos-Mitglied geworden und habe im Nationalratswahlkampf Zettel verteilt und Plakate geklebt.

STANDARD: Wie reagierte der Vater?

Claus Raidl: Ich war stolz, dass sich mein Sohn politisch engagiert, und bewundere seinen Mut, bei einer neuen Bewegung dabei zu sein. Ich habe damit überhaupt kein Problem, es ist das Problem der ÖVP, dass solche Menschen nicht zu ihr kommen und sich eine auch marktwirtschaftlich orientierte, aber doch von vielen Zwängen freie Bewegung suchen.

STANDARD: Warum ist das so?

Claus Raidl: Weil die ÖVP für junge Leute, die etwas verändern wollen, durch die ganze Struktur der Kammern, des Föderalismus nicht attraktiv ist. Die jungen Menschen spüren, dass das Land vom System her erstarrt ist und dass man das innerhalb der etablierten Parteien, auch wenn man marktwirtschaftlich und liberal orientiert ist, also eigentlich sehr der ÖVP nah, doch nicht aufbrechen kann.

Gregor Raidl: Das ist auch ein ganz anderer, offener Zugang zur Politik bei den Neos. Wir reden nicht nur über Bürgerbeteiligung, wir haben Themengruppen, wo man sich anschließen kann. Man kann mitwählen bei der Listenerstellung und sogar Kandidat werden, ohne Mitglied zu sein. Jeder ist willkommen.

Claus Raidl: Ich habe oft junge Menschen gehabt, die gesagt haben, sie würden gerne bei der ÖVP mitarbeiten, wo kann ich das? Ich habe sie dann letztlich an irgendeinen Funktionär weitergereicht, und das ist dann dort versandet. Man muss auch sehen, dass bei den Neos, so wie ich das überblicke, alles Menschen sind, die eine ordentliche berufliche Karriere haben und nicht von Parteien, Kammern oder sonstigen Interessenvertretungen abhängig sind. Die brauchen die Politik nicht in dem Sinn, dass sie Karriere machen wollen, sondern sie spenden wahnsinnig viel Freizeit, um dort was zu tun. Gregor beschränkt sich nicht darauf, vom Spielfeldrand gescheite Kommentare zu geben, wie man das vielleicht über mich sagen kann, er hat den Mut, gleich aufs Spielfeld zu gehen, und das respektiere ich wahnsinnig.

STANDARD: Bei welchen politischen Themen sind Sie anderer Meinung?

Claus Raidl: Gregor ist vielleicht wirtschaftsliberaler als ich. Über die Rolle des Staates sind wir nicht immer einer Meinung. Du würdest vielleicht mehr dem Markt vertrauen.

Gregor Raidl: Was wir jetzt zum Beispiel konkret diskutieren, ist die Steuerreform. Ich sage, wir brauchen keine neuen Steuern und keine Steuererhöhungen. Wir haben Rekordeinnahmen in der Geschichte des Staates.

Claus Raidl: Stimmt.

Gregor Raidl: Eigentlich hätte es ja eine Entlastung sein sollen. Aber das Ganze dient nur dazu, ein paar Jahre zu gewinnen und Reformen aufzuschieben. Alle Vorschläge liegen ja da. Man kann in der Verwaltung, bei den Pensionen einsparen, nur das traut sich keiner, weil es Widerstände gibt. Darum sagt die Regierung: Einigen wir uns darauf, erhöhen wir halt einzelne Steuern.

STANDARD: Sie dagegen haben 2009 für eine Vermögenszuwachssteuer plädiert, um so die finanzielle Substanz des Staats angesichts der Finanzkrise zu stärken. Gilt diese Forderung auch heute noch?

Claus Raidl: Die ist ja dann auch gekommen, weil sie vernünftig ist. Ich bin der Meinung, wenn es in der Kasse klingelt, kann man Steuer zahlen. Daher bin ich gegen Substanzbesteuerung, also gegen Vermögenssubstanzsteuern, aber Kapitalertragssteuer (KESt) - Wertpapier-KESt und Immobilien-KESt vom Zugewinn bei Immobilien mit gewissen Abschlägen -, da war und bin ich dafür. Da unterscheiden wir uns. Aus seiner Sicht verstehe ich das, weil er sagt, man muss den Staat zwingen zu sparen. Ich sage auch aus Gründen der Auseinanderentwicklung der Gesellschaft, man könnte die KESt erhöhen.

STANDARD: Zählen Sie die Erbschaftssteuer zu Substanzsteuern?

Claus Raidl: Man kann es so oder so sehen. Einmal ist sie eine Substanzsteuer, da bin ich dagegen. Man kann sie aber auch so sehen, dass sie für den Erben ein leistungsfreies Einkommen ist. Über die Erbschaftssteuer könnte man in einer späteren Etappe, wo vieles zur Debatte steht, die ganze Frage der Lohnnebenkosten, der Grundsteuer, noch einmal reden.

Gregor Raidl: Aber wir reden jetzt wieder nur über die Steuererhöhungen!

Claus Raidl: Da hast du recht.

STANDARD: Gehen wir noch einmal zum Staat. Welchen wollen Sie?

Gregor Raidl: Ich bin für einen starken Staat, aber nicht für einen Staat, der sich überall einmischen muss. Unser Problem ist: Wir haben einen Staat, der sich überall einmischt, und in den Bereichen, wo selbst die Liberalsten sagen, dass das eigentlich Aufgabe des Staates ist - Landesverteidigung, Sicherheit, Justiz, Wettbewerbskontrolle -, ist er schwach. Dafür regeln wir ins kleinste Detail die Stiegengeländer etc.

Claus Raidl: Da gebe ich Gregor recht, dass der Staat in seinen ureigensten Bereichen zurzeit sehr schwach ist. Aber ich gebe dem Staat, aus Erfahrung, doch eine gewisse Rolle in der Umverteilung, also bei der sekundären Einkommensverteilung. Die primäre schafft doch sehr viel Ungleichheit. Wir haben in Österreich eine der größten Umverteilungsmaschinerien. Wenn man die Haushaltseinkommen nach der Umverteilung anschaut, dann ist das bei uns viel egalitärer, als würde man nur die Leistungseinkommen nehmen.

Gregor Raidl: Aber auch da wird ja sehr ineffizient umverteilt. Gerade im mittleren Einkommensbereich nimmt der Staat sehr viel weg und gibt dann wieder zurück. Es gibt einen riesigen Bürokratieapparat, das könnte man viel zielsicherer machen.

Claus Raidl: Das stimmt leider. Aber aus der Erfahrung habe ich da eben eine gewisse Neigung zum Staat. Nicht in der Wirtschaft! Die verstaatlichte Industrie war ein Totalversager, weil sie von einer falschen Grundvoraussetzung ausgegangen ist, nämlich Beschäftigungsmaximierung und nicht der Erzielung von Erträgen. Damit hat man alle Verluste gerechtfertigt. Die neue Staatsdefinition brauchen wir auch in einer großen Debatte über Verwaltungs- und vor allem Föderalismusreform.

STANDARD: Wenn Sie beide sich selbst auf einem Links-rechts-Kontinuum einordnen müssten, wer wäre da links oder rechts von wem?

Claus Raidl: Aber rechts nicht im Sinne der FPÖ, sondern rechts im Sinne von wirtschaftsliberal!

Gregor Raidl: Ich hab mit dem rechts/links so mein Problem.

Claus Raidl: Denn rechts bist du beim Strache.

Gregor Raidl: Die ÖVP ist rechts, und die SPÖ ist links, und beide sind eigentlich reformresistent. Links heißt ja nicht, dass sie progressiver sind, das sieht man gerade bei der SPÖ. Und die Ansichten der FPÖ decken sich in manchen wirtschaftlichen Dingen wieder mit jenen der SPÖ ...

Claus Raidl: Du bist vielleicht wirtschaftspolitisch noch liberaler als ich, obwohl auch ich die Gewerbeordnung oder die Ladenschlusszeiten kritisiere.

Gregor Raidl: Ich bin gegen die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern.

Claus Raidl: Ja, das bin ich im Grunde auch.

Gregor Raidl: Ach so, dann bin ich doch nicht liberaler. (Lachen.)

Claus Raidl: Ich bin deswegen bei dem rechts skeptisch, weil ich wirklich allergisch bin, auch nur irgendwie in die Nähe der FPÖ zu kommen. Und wenn ich sage, ich bin ein bissl rechter als der, dann bin ich gleich ein, was weiß ich, Ausländerhasser oder Antisemit, und das ist das Furchtbarste.

Gregor Raidl: Sind wir Neos zum Beispiel rechts oder links von der ÖVP? Ich könnt's nicht sagen, denn wir haben andere Standpunkte.

STANDARD: Bei der Wiener Wahl im Jahr 2010 haben Sie gesagt, auf Bundesebene immer ÖVP gewählt zu haben, "auf Landesebene entscheidet sich das von Fall zu Fall". Wie sieht's bei der jetzigen Wien-Wahl aus? Bekommt Sohn Gregor die Stimme des Vaters?

Claus Raidl: Ich kann ihn leider nicht wählen, weil ich nicht im ersten Bezirk wohne. Er wohnt ja im ersten Bezirk, was nicht für alle Kandidaten der anderen Parteien gilt. Aber ich bleibe bei meiner Aussage: Das werde ich von Fall zu Fall entscheiden. (Lachen.) (INTERVIEW: Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 28.2.2015)