Eltern, wehren wir uns! Wehren wir uns gegen den Pflanz der Zentralmatura, wehren wir uns dagegen, dass unsere Kinder in der Schule verarscht und für dumm verkauft werden. Wehren wir uns dagegen, dass sie sich - wie eben bei einer Probe-Zentralmatura in Deutsch - mit den trivialsten und banalsten Aspekten unserer Wirklichkeit unkritisch auseinandersetzen müssen.

Wehren wir uns dagegen, dass sie schlechte Zeitungsartikel lesen müssen - kein Lehrer und kein Bildungsexperte ist offenbar in der Lage, guten Journalismus von schlechtem zu unterscheiden -, dass sie etwa - wie eben bei einer Probematura - ausgehend von inferiorem Journalistengewäsch eine Empfehlung für einen Opa-Kurs abgeben müssen!

Eltern, wehren wir uns! Boykottieren wir diese Schule und diesen Unterricht, der unsere Kinder in einer Scheinwelt gefangen hält, in dem relevante Themen konsequent ausgeklammert sind und der jeden Bezug zur außerschulischen Wirklichkeit verloren hat. Lassen wir unsere Kinder zu Hause und geben wir ihnen Bücher von guten Autoren und Zeitungsartikel von guten Journalisten zu lesen.

Absurde Zwänge

Sprechen wir mit unseren Kindern darüber, und sorgen wir dafür, dass sie sich eine Meinung bilden und diese auch formulieren können - frei, ohne die absurden Zwänge fiktiver Genres wie Empfehlung, Kommentar, Zusammenfassung, Stellungnahme, Inhaltsangabe bzw. wie die von den Bildungsexperten erfundenen Textsorten alle heißen, bei denen es nur darum geht, formale Auflagen zu erfüllen, und nicht darum, Gedanken zu formulieren.

Ohne die Zwänge von Genres - deren Abgrenzung voneinander im Übrigen schwammig und kaum nachvollziehbar ist -, bei denen sich die Schüler und Schülerinnen gar nicht mehr mit dem Inhalt des Gesagten auseinandersetzen können, weil sie voll und ganz damit beschäftigt sind, deren Regeln einzuhalten. Die es ihnen unmöglich machen, eine andere Haltung einzunehmen oder eine andere Meinung als die verlangte auszudrücken - etwa dass Opa-Kurse lächerlich sind, eine gute Einnahmequelle für arbeitslose Lebensberater darstellen oder dass bei jemandem, der mit siebzig nicht weiß, wie er mit seinen Enkeln umgehen soll, ohnehin Hopfen und Malz verloren ist. Nein, gewünscht wird, dass die Schüler und Schülerinnen leicht variiert das nachbeten, was in der zumeist inferioren journalistischen Vorlage steht. Als wollte man sie absichtlich am Denken hindern!

Eltern, wehren wir uns! Wehren wir uns dagegen, dass unsere Kinder belogen und betrogen werden. Wehren wir uns dagegen, dass ihnen anhand der vorwissenschaftlichen Arbeit vorgemacht wird, Wissenschaft bestünde darin, ein Buch zu lesen, seinen Inhalt auf dreißig Seiten zusammenzufassen und die von dem Buch aufgeworfenen Fragestellungen als die eigenen auszugeben. Plagiat soll es aber auch keines sein! Wehren wir uns gegen Etikettenschwindel und Lüge und dagegen, dass in den Schulen jegliche Idee von Wissenschaft verhöhnt wird.

Nicht imstande

Sagen wir unseren Kindern, dass sie mit siebzehn Jahren nicht imstande sind, vielmehr gar nicht imstande sein können und auch gar nicht imstande sein müssen, eine wissenschaftlich relevante These aufzustellen und diese zu verifizieren oder zu widerlegen. Dass die Zusammenfassung der von anderen Personen aufgestellten Thesen früher einmal als Referat bezeichnet wurde und dass das okay war. Dass sie mit siebzehn weder Methoden kennen noch über Instrumente verfügen, auch gar nicht kennen oder über sie verfügen können, die es rechtfertigten, eine Arbeit als wissenschaftlich oder auch nur als vorwissenschaftlich zu bezeichnen. Noch dazu, wo sie sieben Jahre lang nicht zum Denken aufgefordert, sondern gezwungen wurden, die allerbanalsten und trivialsten journalistischen Ausführungen in Form von Kommentaren, Zusammenfassungen, Stellungnahmen, Inhaltsangaben etc. nachzubeten.

Eltern, wehren wir uns. Wehren wir uns gegen den Angriff auf Geist, Intellekt und Denken, der von den Schulen ausgeht und der darauf abzielt, unsere Kinder zu unkritischen Sprechpuppen zu degradieren. ELTERN, WEHREN WIR UNS! (Karin Fleischanderl, DER STANDARD, 28.2.2015)