Künstlerisch tätig zu sein ist ein beständiger Balanceakt. Das Gleichgewicht zwischen Intimität und Austausch zu finden ist nicht einfach. Entweder man quatscht – übervoll der Freude über ein frisch begonnenes Projekt – in naiver Vertraulichkeit überall darüber und könnte nun, falls diese Idee wirklich so gut ist wie gefühlt, recht bald eine böse Kopie vorfinden. Oder man legt ein Konzept nicht aus den Händen, aus Angst, vernichtend bewertet zu werden, was dazu führt, dass diese Idee einen grausam einsamen Tod in Schublade oder Atelier sterben muss. Man kann aber auch nicht sagen, dass Leidenschaft, die man für seine schöpferische Arbeit pflegt, zwingend zu seelischen Hungerstrecken führt. Der schöpfe rische Prozess führt eher zu Zuckerbrot und Peitsche denn zu absoluter Nulldiät. Die Peitsche muss dabei nicht einmal aus der Außenwelt in die Innenwelt dringen, das erledigt die Innenwelt absolut ungefragt ganz von alleine. Eine fragile Angelegenheit zwischen Höhenflug und Bremsspur. Die Fallstricke legt man dabei gerne selber aus. Jemand, auf dessen Wort man großen Wert legt, lobt die Arbeit? Das ist zwar schön, aber ist man gerade selbst von der Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen und der daraus resultierenden Schlechtigkeit der Arbeit im Besonderen überzeugt, nützen alle Engelszungen wenig. Der innere Schweinehund übt sich gern in miesen Kostümspielchen und kommt wahlweise als öder Mister Grey oder ein boshafter Kunstkritiker à la Der Meister und Margarita daher, wobei in diesem Fall leider keine innere Hexe in gerechtem Zorn und wohlverdienter Rache auf die Zerstörung der Kritikerwohnung sinnt, wie bei Bulgakow meisterlich beschrieben. Seltener als Dr. Jekyll, umso öfter als Mr. Hyde, in dessen Auftrag wiederum schmerzhafte, aber nötige Kritik gern im Orkus zwischen den Ohren verschwindet. Vor allem dann, wenn man ahnt, dass der Kritisierende womöglich recht hat. Wie gesagt: ein Balanceakt von Anfang bis Ende, der auch mal schiefgehen kann. Aber wer das nicht riskiert, der wird nicht unabhängig arbeiten können. Alles in allem ist es mit solcher Art von Arbeit wie mit der anstrengend leidenschaftlichen Liebe. Man kann nicht ohne sie. Und mit ihr manchmal auch nicht. (Julya Rabinowich, DER STANDARD, 28.2./1.3.2015)