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BHs aus Samt waren das letzte Mal in den 1970er-Jahren modern. Bei Louis Vuitton gibt es sie jetzt wieder im Angebot - die dazu passenden Schlaghosen natürlich auch.

Foto: Juergen Teller

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Bei Jil Sander gibt's weite Hosen, Céline hat Blumenprints im Programm, bei Etro regiert die Folklore, bei Prada bunte Socken und bei Chanel psychedelische Muster (von links oben).

Foto: AP, Reuters

Wer hätte das gedacht: Die Aufmerksamkeit gilt in diesem Frühjahr nicht den Mädchen, sondern ganz den Frauen. Joan Didion, 80, Joni Mitchell, 71, Julia Roberts, 47, füllen die Kampagnen von Céline, Saint Laurent, Givenchy. Mit weißem Haar, Falten, Charisma. Und mit Mode, die in Erinnerungen schwelgt. Denn viele Designer schauen zurück, und die meisten von ihnen bleiben dabei in den 1970er-Jahren hängen.

Erster Hinweis: die unzähligen Kollektionen, die das stilisierte Blumenmuster hochleben lassen. Sogar Phoebe Philo ist diesmal für eine ausgemachte Überraschung gut: Die minimalistisch orientierte Vordenkerin des Hauses Céline verteilt in diesem Frühjahr knallige rote Blüten- und Streublumenmuster großzügig von oben bis unten über lockere Kleider. Doch nicht nur das. Dank Phoebe Philo erlebt die 80-jährige Schriftstellerin Joan Didion ihren zweiten Frühling: Die Amerikanerin ist das weißhaarige Kampagnengesicht von Céline, das hinter der riesigen Sonnenbrille fast verschwindet.

Mehr-Generationen-Kampagnen

Die jungen distinktionsversessenen Céline-Groupies freuts. Sie haben wie zu erwarten die Bilder, Geschichten und Verweise in Windeseile auf Instagram und Pinterest verbreitet: Mit dem Charme der Alten lassen sich nicht nur kaufkräftige Kundinnen ködern. Große Namen, kleine Fältchen, versehen mit einem Schuss Intellekt und Glamour, sorgen auch im Modebusiness für zunehmend positive Resonanz. Auf der Berlinale wurden gerade die 69-jährige Charlotte Rampling und der 78-jährige Tom Courtenay für eine Geschichte über 45 Jahre Ehe mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Dieses Signal haben auch die Luxuskaufhäuser verstanden. Sie wollen am bejubelten Frühlingserwachen der attraktiven Alten mitschneiden.

So hat der Fotograf Bruce Weber im Auftrag von Barneys bekannte Frauengesichter zu Mehr-Generationen-Porträts zusammengetrommelt: Von Brooke Shields, die in diesem Jahr fünfzig wird, bis Pat Cleveland, 62. Und was war nochmal mit der schrägen 93-jährigen New Yorkerin Iris Apfel? Die wirft ihren Gehstock beiseite und posiert in gleich zwei Kampagnen in diesem Frühjahr.

Flokati & Capri Sonne

Die Mode? Sieht aus, als sei für alle etwas dabei: für die nostalgisch gestimmten Alten, die die Siebziger selbstverständlich nur in allerbester Erinnerung haben, aber auch die Designer, die ihrer Kindheit zwischen Flokati und Capri Sonne gedenken. Und nicht zuletzt die nach 1980 Geborenen, die so das Siebziger-Revival der Neunzigerjahre durchleben.

Ob der blumige Blick zurück wohl als hippieske Antwort auf die Gewaltanschläge in Paris und Kopenhagen taugt? Vielleicht haben die Designer mit ihren friedliebenden Frühlingsideen ja tatsächlich hellseherische Fähigkeiten bewiesen. Das kleine Einmaleins des Eskapismus führte Tommy Hilfiger besonders vorbildlich vor. Die Mode inspiriert aus dem eigenen Siebziger-Archiv, die Show in New York aufgezogen wie ein Musikfestival vor 45 Jahren, für die Generation Instagram aufgehübscht mit 130.000 bunten Blüten.

Blumenmeer

Überhaupt scheint die Mode gerade ein einziges Blumenpflücken. Bei Henry Holland gibt es stilisierte Pril-Blumenmuster und applizierte Blüten auf Jeanshosenbeinen, Karl Lagerfeld lässt für Chanel die wie dahinaquarellierten Blüten in psychedelischen Mustern aufgehen, Max Mara huldigt mit einem Miniblumenmuster einer hauseigenen Kampagne, anno 1971 mit Anjelica Huston. Marni legt großflächige Blüten mit großer Geste über Hosenanzüge, Kleider, Mäntel. Und bei Louis Vuitton sind blumige Tapetenmuster über ausgestellten Pannesamthosen und kurzen Jacken aktuell das Nonplusultra.

Zu behaupten, die Rückwärtsgewandtheit der Kollektionen spräche allein durch die Blume, würde der Saison allerdings nicht ganz gerecht. Denn es geht auch anders zielsicheren Schrittes vier Jahrzehnte zurück: Bei Erdem, Chloé oder Alberta Ferretti in hochgeschnürten Gladiatorensandalen und bei Prada oder Gucci in Stiefeln, deren Schaft die Kniekehle kratzt. Dazu: Wildleder, Fransen, Kimonos, Pullunder, Op-Art-Streifen und natürlich nicht zuletzt die ausgestellten Hosen.

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Gladiatorensandalen bei Chloé, Retro-Blümchenmuster bei Max Mara, Festivalstimmung bei Tommy Hilfiger.
Foto: ap/brinon/ap/bruno/Ap/matthews/

Das Hin zum Schlag, im Herbst bereits an den Säumen der Strick-Beinlinge von Céline und Marc Jacobs abzulesen, setzt sich jetzt fort. Und manchmal scheint das Retro bereits ein zweifaches Zitat: Das schwedische Label Acne knöpft sich mit nahezu allem Drum und Dran die glamourösen Gucci-Neunziger von Tom Ford vor. Mit Schlag und tief eingeschnittenen Oberteilen.

Und das texanische Original? Er setzt für sein eigenes Label noch eins drauf mit knackig sitzenden Schenkeln und stanitzelförmig auslaufenden Hosensäumen. Wenn das so weitergeht, könnte sich die Schlaghose in diesem Jahr wirklich als eine Alternative zur Skinnie etablieren. Überhaupt attestiert das deutsche Branchenblatt Textilwirtschaft den Hosen eine "neue Weite": Auch die Culottes, wie sie in der ersten Kollektion von Rodolfo Paglialunga für Jil Sander vorgeführt wurden, setzten sich in unterschiedlichen Längen durch.

Die Farben der Saison

Die reaktionsschnellen Retailer haben die wiederbelebte Beinweite natürlich schon im Regal liegen: Mango lässt das deutsche Model Anna Ewers breitbeinig in Jeans-Schlaghosen posieren. Die Freiburgerin, Jahrgang 1993, ist gerade erst für eine Kampagne anlässlich Alexander Wangs Jeans-Linien-Launch vor der Kamera gestanden und machte dabei weniger mit ihren Jeansbeinen als mit eingeölten Brüsten und Schenkeln von sich reden.

Eine Methode, mit der zuletzt Kim Kardashian im New Yorker Magazin Paper Aufmerksamkeit erregte. Was vielen entging: Kardashians Inszenierung vor teddybärbraunem Hintergrund nahm eigentlich die Farben der Saison vorweg. Miuccia Prada hielt es während ihrer Mailänder Show ähnlich: Das Setting gab farblich die Richtung vor. Die Models umkreisten auf hohem Plateau eine Dünenlandschaft aus violettem Sand, eines ging auf dem braunen weichen Teppich sogar in die Knie.

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Pradas violette Dünenlandschaft.
Foto: apa/epa/Dal Zennaro

Junge Joni Mitchell

Die perfekte Trägerin vieler Kollektionen wäre in diesem Frühjahr sowieso nicht irgendein Model, sondern die junge Joni Mitchell, der damals wie heute das lange Schnittlauchhaar die Schultern hinabfließt. Kein Wunder also, dass Popstar-Verwerter Nummer eins, Hedi Slimane, die 71-Jährige für seine Frühjahrskampagne, angesiedelt zwischen Falten und Folk, verpflichtet hat: Für Saint Laurent saß Mitchell wie damals mit einer bestickten Tunika, einem eigens für sie angefertigten Lederponcho, breitkrempigem Hut und der obligatorischen Gitarre still.

Die Folk-Heroine soll dem Label Saint Laurent in der Flut unaufhaltsam recycelter Modedekaden Glaubwürdigkeit verleihen. Sowohl Mitchell als auch Didion für Céline funktionieren als Gewährsfrauen des vermeintlich Echten und Authentischen, der "guten alten Zeit".

Winnetou lässt grüßen

Zugegeben, ohne solche Gesichter könnte die Arbeit so mancher Labels nicht auseinandergehalten werden. Denn den Fransen des Winnetou, die in den Sechzigern über die Kinoleinwände flimmerten, sind in dieser Saison ganz schön viele verfallen. Isabel Marant, Proenza Schouler oder Etro zum Beispiel. Bei den Etros wummerte wohl um des Nachdrucks willen während der Show Riders on the Storm von den Doors zu einer Parade an Lederfransen durch den Raum, in Frida Gianninis letzter Kollektion für Gucci wurden Oberteile geschnürt und Mantelkleider aus Wildleder in der Taille gegürtet.

Die Farbpalette? Irgendetwas zwischen Marsala, Rostrot, Curry und natürlich Old Shatterhands Wilderlederbeige. Und das Ganze kombiniert mit: hellem Babyblau oder Indigo, dazwischen Weiß. Denn Chanel und Jil Sander insistierten in dieser Saison auf weißen Blusen, Chloé auf weißen luftigen Kleidern.

Wenn man so will, erinnerte auch das an Vergangenes: Vor 45 Jahren zelebrierten John Lennon und Yoko Ono ihr Bed-In in einem hellen Pyjama und einem weißen Nachthemd. Aber einfach im Bett rumliegen und auf bessere Zeiten warten? Irgendwann muss das Retro auch ein Ende haben. Diese Saison ist es noch nicht so weit. (Anne Feldkamp, Rondo, DER STANDARD, 6.3.2015)