Die Grazer Germanistin Eva Kaufmann stellte eine Lesekrise bei Jugendlichen fest.

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Geht es um die Leselust der Jugend, erliegen die Mundwinkel von Eltern und Lehrern oft schlagartig der Schwerkraft. Ein trauriges Kapitel, so scheint es, dem Eva Kaufmann ihre Dissertation gewidmet hat. Tatsächlich bestätigt die Diagnose der Germanistin ein gewisses Desinteresse der Teens am geschriebenen Wort: "Während sich kleinere Kinder mit Begeisterung vorlesen lassen und später auch selber gerne zu Büchern greifen, ändert sich das im Alter von etwa 13 Jahren", berichtet die 28-Jährige, die ihre Doktorarbeit an der Uni Graz mit reichlich Erfahrung aus ihrem Alltag als Deutsch- und Italienischlehrerin an einer steirischen HAK und einer NMS unterfüttern konnte.

"In diesem Alter werden die Jugendlichen der Kinderliteratur überdrüssig. In der Folge wenden sie sich anderen Genres zu, lesen seltener, kürzer oder verlieren ganz die Freude daran." Bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache setze diese Lesekrise sogar ein volles Jahr früher ein, fand Kaufmann heraus. Da eine gewisse Lesefertigkeit die Grundlage für viele anderer Kompetenzen ist, seien Lehrer und Erzieher dringend gefordert, diesem literarischen Libidoverlust entgegenzuwirken.

Aber das ist leicht gesagt. Welche Stimuli zur Wiedererlangung der Lust an der Literatur kann die Expertin empfehlen? "Etwa das Angebot altersgerechter Themen und Gattungen." So hat sich für Kaufmann im Laufe ihrer wissenschaftlichen und schulischen Arbeit bestätigt, dass sich Mädchen zwischen acht und zwölf Jahren dem Klischee entsprechend tatsächlich vor allem zu Tier- und Mädchengeschichten hingezogen fühlen.

Die gleichaltrigen Buben dagegen tendieren eher zu Comics und Spannungsliteratur. Mit zunehmendem Alter begeistern sie sich dann vermehrt für Science-Fiction-, Abenteuer- und Fantasy-Romane, während die Mädchen Storys über Liebe, Stars, Jugendthemen, aber auch Abenteuergeschichten bevorzugen, also eine größere Bandbreite aufweisen. Abgesehen von den unterschiedlichen Interessen sind die Buben bedeutend größere Lesemuffel als die Mädchen. "Da sie ver- stärkt Online-Medien konsumieren, könnte man sie beispielsweise mit interaktiven Geschichten am Computer zum Lesen verführen", schlägt Kaufmann vor.

Der Lesekrise von Kindern mit Migrationshintergrund sei vor allem durch ein frühzeitiges Angebot passender Bücher in ihrer Muttersprache zu begegnen: "Fehlen ihnen da Kompetenzen, können sie auch die deutsche Sprache nicht ausreichend erlernen." Generell seien fixe Lesezeiten, gut sortierte Büchereien und eigene "Lese-Coaches" eine realistische Möglichkeit, den Jugendlichen einen Weg zur Literatur zu ebnen.

Ob dieser über den PC, den E-Reader oder ganz klassisch über das Buch führt, ist zweitrangig. Auch Kaufmann ist dabei flexibel, "obwohl 'echte' Bücher natürlich meine erste Wahl sind". Da die Wohnung der leidenschaftlichen Leserin aber nicht groß genug für die traditionsreiche "Luxusvariante" ihres Sucht-, Genuss- und Lehrmittels ist, muss zumindest im Augenblick auch der E-Reader genügen. Für ein ganz spezielles Buch wird sich wohl schon heuer ein Plätzchen finden: In den nächsten Monaten sollen nämlich ihre Erkenntnisse zum jugendlichen Leseverhalten als Publikation im Narr-Verlag erscheinen.(Doris Griesser, DER STANDARD, 4.3.2015)