SPÖ-Wohnbausprecherin Ruth Becher (li.) diskutierte mit Neos-Abgeordneter Beate Meinl-Reisinger, beide aus Wien: Das Wohnrecht gehört reformiert - aber wie, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Fotos: Robert Newald

STANDARD: Frau Becher, Frau Meinl-Reisinger: Was würden Sie in Wien am dringendsten geändert sehen wollen?

Becher: Wir haben ein sehr zerklüftetes Rechtssystem, das in Ballungszentren noch mehr zum Tragen kommt als im ländlichen Bereich. Wenn in einem Haus fünf bis sechs Rechtsanwendungsbereiche vorgefunden werden, dann ist das für die Betroffenen nicht mehr durchschaubar. Das ist das größte Problem und nicht nur in Wien: die Intransparenz und das vielschichtige Rechtssystem. Das ist unser Ansatz bei den Regierungsverhandlungen, dass sich das ändern muss. Das steht auch im Koalitionsübereinkommen.

Meinl-Reisinger: Ich würde mir wünschen, dass in dieser langen Diskussion etwas weitergeht. Es gibt einen Entwurf der SPÖ, aber es wird sie nicht überraschen, dass wir ihn nicht immer prickelnd finden. Ich würde mir wünschen, dass man auf Augenhöhe oder mit Augenmaß verhandelt. Ich gehe davon aus, das wir alle dasselbe Ziel haben - dass Wohnen als Grundbedürfnis leistbar bleibt oder wird. Die Frage ist der Weg dorthin. Ich bin überzeugt, dass ein weniger ideologischer und mehr evidenzbasierter Zugang mit mehr Sachpolitik hier angebracht ist. Es gibt namhafte Ökonomen, auch Sozialdemokraten, die vor einer zu starken Regulierung des Mietzinses wirklich warnen, weil sich das negativ auf das Angebot auswirkt. Und wir brauchen mehr Angebot. Ich sage das nicht als Ideologin, sondern als Pragmatikerin, die auch auf internationale Studien hinweist.

STANDARD: Gibt es einen Aspekt im SPÖ-Konzept, mit dem Sie gut leben könnten?

Meinl-Reisinger: Ich bin froh, dass ein Entwurf da ist. Es ist eine Ausgangssituation. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, das auf Ebene der Bautensprecher zu verhandeln - und hier nur zwischen ÖVP und SPÖ, wir verhandeln ja nicht mit, aber es ist zumindest eine neue Wendung in der Diskussion. Es gibt viele Aspekte im Entwurf, die ich nicht so hinnehmen würde, etwa die Erhaltungspflicht des Vermieters bei Leuchtmitteln: Demnach sollen Mieter diese nur bis zu 200 Euro maximal im Jahr bezahlen müssen. Das ist absurd. Ich verstehe auch nicht, dass man nicht differenziert, wer eigentlich der Vermieter ist. Es ist klar, dass es einen Mieterschutz braucht, wenn es ein Missverhältnis gibt, mit einem schwachen Mieter auf der einen und einem starken Vermieter auf der anderen Seite. Da passt die Augenhöhe nicht. Aber wenn jemand eine einzige Wohnung im Wohnungseigentum vermietet, dann ist er auf einer ganz anderen Augenhöhe als ein institutioneller Vermieter.

STANDARD: Die Neos sind eine neue kleine Größe in Wien. Frau Becher, wie nehmen Sie die Politik der Neos wahr, was die Wohnpolitik betrifft?

Becher: Wir haben in vielen Fragen andere Zugänge, zum Beispiel beim sozialen Wohnbau. Was wir zur Erhaltungsfrage im Wohnrecht vorschlagen, ist zwischen den Sozialpartnern der Arbeiterkammer und Wirtschaftsammer bereits ausverhandelt und wurde deshalb hineingenommen. Da sollte die Diskussion nicht mehr neu begonnen werden, sonst steht ja alles zur Disposition. Wir halten den sozialen Aspekt und den Eingriff in den Markt für notwendig. Es ist unser Auftrag, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass alle Wohnraum finden und sich ihn auch leisten können.

Meinl-Reisinger: Die Neos sind nicht gegen den sozialen Wohnbau, ganz und gar nicht. Die Frage ist, ob er treffsicher ist, und da gibt es auch in Studien Zweifel. Natürlich muss mehr gebaut werden, notfalls baut die Stadt selber wieder. Aber bei der derzeitigen budgetären Situation wird das schwierig werden. Wir sind sehr für den sozialen Wohnbau und für die Zweckwidmung der Wohnbauförderung. Ich will nur, dass sie treffsicher sind.

Becher: Es freut mich sehr, dass Sie das sagen, da stimmen wir überein. Die soziale Treffsicherheit liegt immer bei der Vergabe. Wenn die Wohnungen vergeben werden - ob Sozialwohnungen, Gemeindewohnungen, bei den Gemeinnützigen und auch bei Eigenheimen, die genauso Wohnbauförderung erhalten -, gibt es überall Einkommensgrenzen. Das ist für alle nach sozialen Kriterien geregelt, und jeder muss einen Nachweis erbringen. Das, glaube ich, ist okay.

Meinl-Reisinger: Ich habe schon zweimal in meinem Leben in einem Gemeindebau gewohnt, einmal bei meinem früheren Freund, das zweite Mal bei meiner Großmutter. Meine Großmutter lebt jetzt nicht mehr im Gemeindebau, weil sie gerade in ein Pflegeheim übersiedelt ist. Aber sie lebte dort lange, und lange allein, in einer sehr großen Wohnung. Mein Großvater war Arzt im Gemeindebau und hatte dort seine Ordination. Nachdem er in Pension gegangen war, sind die Wohnungen zusammengelegt worden. Mein Großvater ist bedauerlicherweise bald gestorben. Meine Großmutter war Gymnasialprofessorin, sie hat eine sehr, sehr gute Pension, sie lebte allein auf 120 Quadratmetern im Gemeindebau und zahlte genau den gleichen Zins wie alle anderen. Ich liebe meine Großmutter, aber das ist nicht sozial treffsicher.

Becher: Zum Zeitpunkt der Vergabe hat sie den Anspruch gehabt. Wir legen Wert darauf, dass es eine gute soziale Durchmischung gibt, dass alle Bevölkerungsschichten nebeneinander gemeinsam wohnen können. Wenn das fehlt, das sehen wir in den Vororten von Paris, dann entstehen soziale Gettos. Wir wissen es aus Deutschland, wo die Einkommensüberprüfung eingeführt wurde und die Mieten angehoben wurden. Dann sind natürlich alle, die ein bisschen Einkommenszuwachs haben und sich dadurch die Mieten erhöhen, weggezogen und es entstehen Gettos. Das wollen wir nicht. Es ist ein wichtiges Kriterium für den sozialen Frieden, dass die Menschen nebeneinander leben und wohnen.

STANDARD: Werden hier nicht die berühmten Friedenszinsverhältnisse, wo die Hofratswitwen über große Wohnungen verfügt haben, auf den Gemeindebau übertragen?

Becher: Nein, das ist sicher nicht so. Es gibt nur ganz wenige alte Gemeindewohnungen, die so groß sind, die aus den 1980er- und 1990er-Jahren. Auch bei den Gemeinnützigen wird jetzt wieder kleiner gebaut, weil es auch zu einer Frage der Leistbarkeit geworden ist. Aber ein Vertrag ist ein Vertrag. Man kann andere Anreize setzen, damit die Leute umziehen, und das geschieht jetzt auch. Von Wiener Wohnen gibt es das Angebot an übersiedlungswillige Bewohner - und das sind vor allem ältere Menschen, deren Kinder ausgezogen sind -, dass kleinere Wohnungen günstiger oder zu denselben Bedingungen angeboten werden wie die größeren. Das sollte ein Anreiz sein, die Wohnung zu wechseln.

STANDARD: Frau Meinl-Reisinger, wenn die Neos im Bund in eine Ampelkoalition gehen und Sie Ihrer Großmutter in der Wohnung nachfolgen, dann wären Sie Ministerin in einer Gemeindewohnung.

Meinl-Reisinger: Würde ich jetzt noch drinnen wohnen, dann wäre ich Nationalratsabgeordnete in einer Gemeindewohnung. Und davon gibt es ja ein paar. (Moderation: Gerfried Sperl, DER STANDARD, 4.3.2015)