Bruce Nauman, Kiesler-Preisträger 2014, in seinem Atelier in der Nähe von Galisteo, New Mexico.

Foto: Jason Schmidt / Courtesy Sperone Westwater

Wien - Die Beklemmung stellt sich auch ganz ohne unmittelbare körperliche Erfahrung ein. In Bruce Naumans Medieninstallation Audio-Video Underground Chamber (1972/74) fungiert die Kamera wie ein Stellvertreter, simuliert den Blick des Auges. Ganz so, als wäre tatsächlich einmal jemand in dieser Kiste gelegen, in jener langen Betonbox, die vor elf Jahren samt Lampe, Kamera und Mikrofon zwei Meter tief hinter dem Mumok vergraben wurde. Eine Grube, 2,20 Meter lang, knapp einen Meter breit - also wie für einen Sarg. Existenzielle Maße.

Seither überträgt das Werk Bild und Ton live in den Ausstellungsraum - quasi von der Black Box in den White Cube. Und obwohl man inzwischen Bilder aus völlig anderen Galaxien kennt, ignoriert man trotzig das Wissen um die Technik, die uns Fotos von Orten schenkt, die nie eine Menschenseele besucht hat: Das Bild der unterirdischen Kammer auf dem in die Jahre gekommenen, kleinen Monitor wird so zum erlebten Blick, weckt den Horror vom Lebendig-begraben-Werden. Manchmal erwischt man sich sogar beim Lauschen. Ist neben dem Rauschen des Mikros nicht vielleicht doch noch etwas zu hören?

Isolation und Enge

Es sind diese an die menschlichen Grenzen gehenden Erfahrungen, die den 1941 im US-Bundesstaat Indiana geborenen Künstler interessieren. Normalerweise delegiert Nauman allerdings nicht an Maschinen, sondern lässt den Betrachter - oder sich selbst - Gefühle der Isolation und der Enge oder den Verlust von Orientierung oder Kommunikation durchlaufen. Ein "Theater der Erfahrung" nennt es die Jury für den Friedrich-Kiesler-Preis 2014, den der 73-Jährige am 30. März - nicht in Wien, sondern im Österreichischen Kulturforum in New York entgegennehmen wird.

Genau dort sieht man auch die Verbindungslinien zwischen Nauman und dem mehr als eine Generation älteren Friedrich Kiesler (1890-1965): In der körperlichen Erfahrung dieser vom Künstler oder Architekten gestalteten Räume wird die Trennung von Betrachter und Objekt aufgehoben. Vielmehr interessieren sich beide für die Wechselbeziehung zwischen Person und Raum.

Korridor und Einbahnstraße

"Erfahrungsarchitekturen" nennt sich diese Werkgruppe Naumans: Ende der 1960er-Jahre begann er klaustrophobische, abgeschlossene Gänge und Räume zu schaffen, die Gefühle der Einsamkeit und des Ausgesetztseins hervorriefen. Für die Documenta 1972 schuf er etwa einen gekrümmten Korridor, zwar licht und einladend aber doch in ein enges, den Rückzug erzwingendes Dead End mündend.

Als Einbahnstraße erwies sich für Nauman Mitte der Sechziger auch der ursprüngliche Lebensplan: Eigentlich hatte der Sohn eines Ingenieurs ja Physik und Mathematik studiert, aber die mangelnde Leidenschaft für die Materie wurde irgendwann zur Krise, und so beschloss der Mittzwanziger eines Tages nach den Semesterferien: "Ich könnte doch ebenso gut Künstler sein." - Einfach so, aus dem Nichts heraus, angeblich ohne besonderes Erweckungserlebnis oder konkrete Vorstellung. Das Atelier war aber leer, Geld hatte der junge Familienvater keines, die Materialien waren teuer. Also musste Nauman selbst zum Material werden. Er begann, sich selbst zu erforschen (zunächst mit der Fotokamera), machte das Atelier zum Labor.

Naumans Suche nach den Bedingungen menschlicher Existenz stößt immer wieder auf die Themen Gewalt, Kontrolle und Zwang. Subtil verbildlicht ist das etwa in einem frühen Foto: Simple Bohraufsätze versenken sich in einer Leiste. Es fallen Späne: Drill Team (1967). Noch früher, 1966, entstand sein berühmtes Selbstporträt als Springbrunnen, auf dem Nauman Wasser in hohem Bogen ausspeit: eine Referenz auf Duchamps Fountain, wie dieser sein zur Kunst erklärtes Urinal einst genannt hatte. Bereits 1968 schloss er einen Vertrag mit dem legendären New Yorker Galeristen Leo Castelli.

In Wien werden von Nauman, der gestand, dass er mit Leben und Werk Kieslers nur peripher vertraut sei, "architektonische Gedanken" gezeigt: 15 Zeichnungen, die seine Erfahrungsräume begleiten, aber erst nachträglich - quasi als Analyse der Settings - entstanden sind. Die beengten Räumlichkeiten der Kiesler-Stiftung eignen sich dafür famos, scherzt man in Bezug auf Naumans enge Passagen und Tunnel. Ohne die Modelle und Installationen braucht es zum Lesen der konstruktiven Blätter aber dringend eine Sehanleitung. Auch das verbindet mit Kiesler, dessen Werk sich leider überwiegend in Form dokumentierter Ideen erhalten hat. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 5.3.2015)