"Menschen wollen ihre Wurzeln kennen: Sie brauchen dieses Wissen, um ihre Identität überhaupt erst ausbilden zu können", begründet Sabine Ladstätter die gesellschaftliche Relevanz ihres Berufs, der Archäologie. Seit 2010 ist die Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts, des ÖAI, die Kärntnerin Sabine Ladstätter, für die Grabungsleitung verantwortlich.

Die antike Metropole Ephesos ist mit Sicherheit die österreichischste aller Ausgrabungsstätten weltweit: Seit bald 120 Jahren ist das Österreichische Archäologische Institut in Ionien tätig. Die intensive Forschung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Heimatstadt des Artemis-Tempels - eines der sieben Weltwunder der Antike - eines der meistbesuchten Tourismusziele in der Türkei ist. Jährlich besuchen zwei Millionen Menschen diese Ausgrabungsstätte. Zahlreiche wiedererrichtete Gebäude lassen die Atmosphäre einer griechisch-römischen Großstadt erlebbar werden wie an kaum einem anderen Ort, sei es an der hochaufragenden Fassade der Celsus-Bibliothek, in den reich verzierten Hanghäusern der Oberschicht oder im Amphitheater.

Raus aus dem Elfenbeinturm

Ladstätter, die 2011 nicht umsonst die Auszeichnung "Wissenschafterin des Jahres" erhalten hat - eine Würdigung, die an Forscher verliehen wird, die sich um die leicht verständliche Vermittlung ihrer wissenschaftlichen Arbeit verdient gemacht haben -, ist es ein Anliegen, Archäologie den Menschen klar und detailliert, vor allem verständlich nahezubringen. Ihrem Ethos und Selbstverständnis nach ist das Kennen der Vergangenheit die Basis des Heute und der Schlüssel für die Zukunft des Menschen. Ihre Schilderungen sind von der Begeisterung für ihren Beruf getragen, detailliert beschreibt sie Lebensumstände und den Alltag der Menschen in der Antike und spannt den Bogen von Krisen der Vergangenheit zu solchen unserer Zeit. Strukturiert und geordnet nach verschiedenen Themenbereichen von Natur und Umwelt bis zu Religion und Tod. Ladstätter richtet sich in ihren Ausführungen immer an interessierte Laien. Die Forscherin erklärt, warum archäologische Datierungsmethoden oft Labortechniken wie der Radiokarbonmethode überlegen sind und warum die Ephesier sich durch selbst herbeigeführte Umweltzerstörung ihrer wirtschaftlichen Grundlage durch die Versandung ihres Hafens beraubten.

Die 1968 in Klagenfurt Geborene absolvierte von 1986 bis 1992 ein Diplomstudium der Klassischen Archäologie und der Alten Geschichte und Altertumskunde an der Universität Graz. 1992 erlangte sie ihr Diplom mit der Arbeit Die griechische Münzsammlung des Instituts für Alte Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz und übernahm von 1992 bis 1998 die örtliche Grabungsleitung der Universität Wien auf dem Hemmaberg. Ihr Doktoratsstudium absolvierte Ladstätter von 1993 bis 1997 in Wien mit Studienaufenthalten in Athen und Ljubljana. Zusätzlich belegte sie ein Studium der Ur- und Frühgeschichte.

Der Weg an die Spitze

1993 leitete Ladstätter eine Notgrabung in Feldkirchen. Von 1995 bis 1997 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ephesos-Projekts und bearbeitete die Keramikfunde. 1997 promovierte sie mit der Arbeit Von Mediterraneum zur Provincia Slaborum. Seit 1996 nahm sie jährlich an den Grabungen in Ephesos teil, 1996 bis 2002 sowie 2004 leitete sie auch die archäologische Grabung.

Von 1997 bis 2007 war Ladstätter wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle Archäologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, des Instituts für Kulturgeschichte der Antike der ÖAW, und bearbeitete die spätantiken Funde aus dem Legionslager von Carnuntum.

Von 2001 bis 2007 war Ladstätter stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Instituts für Kulturgeschichte der Antike. Seit 2007 war sie zudem als wissenschaftliche Angestellte des ÖAI zunächst stellvertretende Leiterin und seit April 2010 alleinverantwortliche Leiterin der Grabungsstätte in Ephesos. 2009 wurde Ladstätter zur neuen Direktorin des 1898 gegründeten Österreichischen Archäologischen Instituts ernannt. Erstmals übernahm eine Frau das Ruder jener Institution.

Ausgehend von der tagtäglichen Erkundung archaischer Lebensformen und der Erforschung antiker Gesellschaftsstrukturen mündet Ladstätters Arbeit naturgemäß auch in der Auseinandersetzung mit aktuellen patriarchalischen Strukturen an den Ausgrabungsstätten sowie dem Aufbrechen tradierter Positionen im universitären und im global vernetzten wissenschaftlichen Sektor. Unaufgeregt, sachlich, unbeirrbar, strebsam und kritisch.

Blicke auf ihre Position in einer männlich dominierten Branche und die Herausforderungen, denen sich die Feldarchäologie im Kommunikationszeitalter gegenübersieht, kommen dabei nicht zu kurz. Zu ihrem Bedauern wird die Öffentlichkeitsarbeit in der Wissenschaft oft noch mit Argwohn betrachtet. "Der Weg aus dem Elfenbeinturm", meint Ladstätter, "lohnt sich auch für die Wissenschafter." In diesem Turm sitzt sie nicht fest, sondern versucht vielmehr mit Vorträgen in Schulen und Führungen aktuelle Forschungsergebnisse weiterzugeben. In puncto Öffentlichkeitsarbeit, wissend um Wert und Wertschätzung des an der Antike, an den Wurzeln der Geschichte interessierten, ins Boot geholten Publikums, geht sie neue Wege.

Publizistische Arbeiten

Zusammen mit Maître Lois Lammerhuber hat sie jüngst zwei opulente Bildbände publiziert, die die Faszination zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Pragmatismus und Forschung, zwischen Fotografie und Forensik perfekt zu einem regelrechten puristischen Augenschmaus vereinen.

Detailverliebte Fotografien von Wandmalereien und Mosaiken lassen die einstige Pracht der Villengebäude erahnen. Begleittexte erzählen die Geschichte der Stadt, von Bewohnern, vom Untergang und Wiedererwachen. Die breite Öffentlichkeit ist auch fernab von epochal-martialischen TV-Spektakeln wie Spartacus und Troja interessiert an der Antike, an Mythen, Epen, Dramen, an den kulturhistorischen, philosophischen, ethischen und gesellschaftlichen und politischen Wurzeln unseres Daseins. Passend der Titel: Der Reiz der Zerstörung. Derart betrachtet können Aufstieg und Zerfall der antiken Hochkultur als mahnendes Pendant zu unserer zunehmend aus den Fugen geratenden Welt interpretiert werden. (DER STANDARD, 07./08.2015)