Einen dramatischen Kurswechsel in der griechischen und der gesamten europäischen Wirtschaftspolitik hat Syriza vor und nach ihrem Wahlsieg in Aussicht gestellt. Bisher haben Premier Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yiannis Varoufakis aber bloß einen neuen politischen Stil in die Eurozone eingebracht - einen, der aus langatmigen Vorträgen, populistischen Slogans, undurchdachten Vorschlägen und fehlender Handschlagqualität besteht. Durch ihr Verhalten auf dem europäischen Parkett haben die beiden - und einige ihrer Kabinettskollegen - das Land an den Rand eines Finanzkollaps gebracht. Damit wird auch die Chance vertan, eine Alternative zur bisherigen Krisenbekämpfungsstrategie der Eurozone zu schaffen.

Nicht nur die zwei Wochen seit der Grundsatzeinigung auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms wurden vergeudet. Griechenland und seine Euro-Partner stehen heute genau dort, wo sie bereits am Wahlabend im Jänner waren. Das Land braucht Hilfe und muss dafür gewisse Auflagen akzeptieren. Das Einzige, was Tsipras erreicht hat, ist, dass die Troika nun "die Institutionen" heißt und sich öfter in Brüssel als in Athen trifft.

Die anderen Eurostaaten waren ja von Anfang an bereit, Griechenland entgegenzukommen, solange die Regierung einen ernsthaften Weg zur Sanierung der Staatsfinanzen und der Wirtschaft einschlägt. Beides geht nur über tiefgreifende Strukturreformen, die über ideologische Schranken hinweggehen müssen.

Syriza hat recht, wenn sie den Klüngel der Wirtschaftseliten für die Krise mitverantwortlich macht und ihn zu mehr Wettbewerb und zum Steuerzahlen zwingen will. Aber bisher hat die Regierung auch in diesem Kampf nichts zustande gebracht; der jüngste Vorschlag, Touristen als Steuerfahnder einzusetzen, ist angesichts der systematischen Abgabenhinterziehung lächerlich. Gleichzeitig muss der aufgeblähte öffentliche Sektor weiter reduziert werden: doch die Wiederanstellung gekündigter Beamter und die Absage an alle Privatisierungen sind ein Signal, dass Syriza die tieferen Ursachen für die Wirtschaftsmisere nicht kapiert.

In dieser Situation haben Tsipras & Co einen Dilettantismus an den Tag gelegt wie noch keine andere Regierung seit Ausbruch der Euroschuldenkrise. Die Kontrolle über die Staatsfinanzen ist ihnen entglitten; dass sie in Brüssel keine konkreten Zahlen vorlegen, liegt daran, dass sie diese selbst nicht kennen. Während die griechische Wirtschaft zum Stillstand kommt, wird im Kabinett verzögert, doziert und getäuscht. Varoufakis' lautes Nachdenken über ein nebuloses Referendum hat das kaum noch vorhandene Vertrauen bei den EU-Partnern weiter erschüttert: Schließlich war es ein solcher Vorschlag, der 2011 zum Rücktritt von Premier Giorgos Papandreou geführt hat.

Niemand in Europa wünscht das dicke Ende - Staatsbankrott und Grexit. Aber genauso wenig ist es derzeit vorstellbar, dass die anderen Euroländer dieser Regierung jene Milliarden borgen, die sie allein im März noch braucht. Der "Grexident" - der ungeplante Euro-Austritt - wird dadurch von Tag zu Tag wahrscheinlicher.

Doch auch die Einführung einer neuen Währung müsste kompetent gemanagt werden; sonst mündet sie ins völlige Chaos. Das wirtschaftliche Leid, das Syriza an die Macht gebracht hat, würde dann im Rückblick noch erträglich erscheinen. (Eric Frey, DER STANDARD, 11.3.2015)