Jens Bastian: "Was die taktische Entscheidung mancher griechischer Bürger und Unternehmer betrifft, jetzt keine Steuern zu zahlen, so hat sich dies die Regierung zum Teil selbst zuzuschreiben."

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STANDARD: Hat diese Regierung einen Plan, wie sie die Finanzlage des Landes gestalten und mit den Kreditgebern umgehen will?

Bastian: Aus meiner Sicht spiegeln die ersten sieben Wochen, die wir mit der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras erlebt haben, wieder, dass sie entweder keinen ausgearbeiteten Plan hatte oder einen, der programmatisch nicht für die Regierungsarbeit abgestimmt war. Man merkt dieser Regierung ebenso an, dass sie eine eher dünne Personaldecke hat. Zahlreiche Ministerien sind noch nicht voll arbeitsfähig. Die Regierung versucht zudem immer noch, sich einen fiskalischen Überblick zu verschaffen, einen Kassensturz bei den Finanzen des Landes vorzunehmen, um zu verstehen, welche Mittel ihr zu Verfügung stehen und wie hoch die monatlichen Verpflichtungen sind.

STANDARD: Dafür gibt es Beamte im Finanzministerium...

Bastian: Offenbar ist dieses Fachwissen nicht ausreichend kommuniziert. In der Öffentlichkeit ist unklar, wie solvent der griechische Staat ist, wie sich die Einnahmesituation darstellt, welche wirtschaftlichen Kennzahlen die Regierung verändern müsste, falls es zu einem Nachtragshaushalt 2015 kommt. Teile dieser Koalition sind auch immer noch dabei, vom Oppositions- in den Regierungsmodus zu wechseln. Bei den Wortmeldungen mancher Minister frage ich mich bisweilen: Reden sie nun als Minister oder noch als Oppositionspolitiker? Reden sie zu ihrer Partei Syriza oder zu ihrem Volk, dem gegenüber sie Regierungsverantwortung tragen?

STANDARD: Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen?

Bastian: Nein, sicher nicht. Das zeigt aus meiner Sicht, wie unvorbereitet die Partei die Regierungsgeschäfte übernommen hat. Ich glaube auch, diese Regierung – vor allem die Finanz- und Verteidigungsminister – verbringt zu viel Zeit damit, Interviews zu geben, statt die tägliche Arbeit zu erledigen. Die Regierung ist für die internationale Bühne dünn aufgestellt. Mit Ausnahme des Finanzministers spricht kaum jemand Englisch und hat im Ausland gelebt. Premierminister Tsipras hat seine Sprachkenntnisse verbessert, aber er würde noch kein Interview auf Englisch geben. Der Außenminister spricht sehr gut Deutsch, aber danach wird es schon eng. All das trägt zu den Startschwierigkeiten dieser Regierung bei.

STANDARD: Die Regierung Tsipras hat eine Reihe von Dingen offenbar nicht kommen sehen: den Abzug von Kapital bei den Banken, die Entscheidungen der EZB, den Zahlungsstopp der Steuerzahler...

Bastian: Das bestätigt, wie wenig Erfahrung sie hat mit der Funktionsweise von Finanzmärkten und Zentralbanken. Auch wie wenig Ansprechpartner und potenzielle Unterstützer die Regierungsmitglieder in der EZB oder in anderen europäischen Institutionen hat. Die Verunsicherung in der griechischen Bevölkerung hat schon vor den Wahlen zum Abfluss von Einlagen bei den Banken geführt. Es war ziemlich schnell abzusehen, dass sich dies fortsetzen würde, als die Regierung zunächst einen sehr konfrontativen Kurs gegenüber verschiedenen europäischen Partnern und internationalen Kreditgebern einschlug.

STANDARD: Und was ist mit dem Steuerboykott?

Bastian: Was die taktische Entscheidung mancher griechischer Bürger und Unternehmer betrifft, jetzt keine Steuern zu zahlen, so hat sich dies die Regierung zum Teil selbst zuzuschreiben. Viele Bürger denken sich: Warum soll ich jetzt Steuern zahlen, wenn mir die Regierungspartei im Wahlkampf gesagt hat, dass einige dieser Steuern verändert oder abgeschafft würden? Warum die letzte Rate der Immobiliensteuer zahlen, wenn das Steuerrecht neu gefasst wird. Vielleicht kommt später noch eine Amnestie dazu? Die Regierungspartei Syriza hat zudem in den vergangenen drei, vier Jahren Protestbewegungen unterstützt, die unter dem Motto "Den plirono" – "Ich bezahle nicht" – organisiert wurden, etwa beim öffentlichen Transport in den Großstädten oder bei den Mautstellen der Autobahnen. Das fällt nun auf die Regierung zurück. Andererseits gibt es im heutigen Griechenland viele Menschen, die durchaus bereit sind, diese Steuern zu zahlen, aber wegen der Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit schlicht nicht mehr die Mittel dafür haben.

STANDARD: Was halten Sie von den verschiedenen Reformlisten, die Finanzminister Varoufakis der Eurogruppe geschrieben hat?

Bastian: Sie müssen sich zunächst Eines vor Augen halten: Diese Koalitionsregierung ist ohne einen Vertrag zustande gekommen. Das heißt, es gibt keine programmatischen Vereinbarungen, die einer interessierten griechischen und europäischen Öffentlichkeit zugeleitet wurden und die nun abgearbeitet würden. Die von Varoufakis vorgelegten Papiere, unter enormen Zeitdruck vorbereitet, sind deshalb auch als Versuch einer nachgeholten programmatischen Orientierung zu lesen. Die Regierung hat auch erst nach und nach eingesehen, dass diese Papiere in der Runde der Euro-Finanzminister zustimmungspflichtig sind; dass sie nicht sagen kann: Nehmt das oder lasst es sein.

Was die Reformvorschläge selbst angeht, so fehlt bisher fast überall das Zahlenmaterial. Wir haben keine Auflistung der damit verbundenen Kosten- und Einnahmepotenziale. Auch der zeitliche Rahmen der gesetzlichen Vorbereitung und der Umsetzung dieser Vorschläge ist nicht beschrieben. Die Papiere enthalten nichts wirklich innovativ Neues. Viele dieser Strukturreformen sind schon von der Troika oder von Vorgängerregierungen ins Auge gefasst worden – mit einer Ausnahme, und da ist die Grenze zur Lächerlichkeit schnell erreicht: beim Vorschlag, Touristen – technisch ausgerüstet – als Steuerfahnder einzusetzen.

STANDARD: Es gibt Spekulationen in Athen und Brüssel, dass Varoufakis abgelöst wird.

Bastian: Das kann ich mir derzeit nicht vorstellen. Tsipras schätzt Varoufakis, sie sind Freunde und ein Team. Aber ich bin vorsichtig. Bei der Regierungsbildung habe ich mich getäuscht. Ich hätte nicht gedacht, dass Varoufakis Finanzminister wird; ich ging davon aus, er würde der finanzpolitische Berater des Regierungschefs werden. (Markus Bernath, DER STANDARD, 18.3.2015)