Wie hat "Bibi" es nur geschafft, diesen Rückstand in einen großen Sieg umzudrehen, fragen sich viele Israelis. Selbst Reuven Adler, der Kampagnenstratege der Arbeiterpartei, konnte nur ermattet eingestehen: "Er ist ein großer Wahlkämpfer - alle Achtung, Bibi!"

Wenn man, besonders in den letzten Wochen, die Stimmungsentwicklung in Israel beobachtet hat, dann ist es wirklich verblüffend, dass Premier Benjamin Netanjahu jetzt eine vierte Amtszeit, die dritte in Folge, bekommt. "Nur nicht mehr Bibi, es ist genug", hörte man von allen Seiten, oft in angewidertem Ton und ohne klare Begründung, und sogar in traditionellen Likud-Hochburgen fiel immer wieder das Wort "Wechsel".

Aber Journalisten und meinungsmachende Schichten nehmen vielleicht nicht immer die ganze Realität wahr. "Die Medien sind links, und das Volk ist rechts", sagte eine Likud-Abgeordnete. Zunächst ist das Ergebnis wohl einfach die Retourkutsche dafür, dass Netanjahu, der sich Kritik ja auch redlich verdient hat, doch jenseits der Fairnessgrenze heruntergemacht wurde. Auch Netanjahu hat in diesem persönlich und gehässig geführten Wahlkampf gehörig an seine Gegner "Bouji" (Herzog) und "Zipi" (Livni) ausgeteilt, deren Namen er immer demonstrativ verächtlich aussprach. Aber wenn sich eine führende Zeitung dazu verstieg, Netanjahu mit Stalin oder Ceausescu gleichzustellen, dann hat das bei manchen seiner Stammwähler, die mit einem Wechsel spekulierten, vielleicht umgekehrt einen Solidarisierungseffekt ausgelöst.

Dazu kommt, dass Netanjahu praktisch vorgeworfen wurde, er habe das Land zugrunde gerichtet - und das ist eine wilde Übertreibung. Viele Israelis kommen mit dem Geld nicht aus, aber die Makro-Wirtschaftsdaten sind gut, die Preise sind 2014 gesunken, und die gewaltigen Sozialproteste vom Sommer 2011 sind nicht ganz wirkungslos verpufft, sondern haben gewisse Reformen und ein Problembewusstsein bewirkt.

Ein großer Visionär ist Netanjahu weder in der Wirtschafts- noch in der Nahostpolitik, und seine Gegner bemerken zu Recht, dass unter ihm alles irgendwie stagniert. Aber er konnte argumentieren, dass man in Zeiten, da der radikale Islam im Vormarsch ist und rundherum Staaten zerfallen, schon zufrieden sein muss, wenn man das Bestehende bewahren kann - ein Argument, das offenbar gezogen hat.

Und gerade die organisierte Kritik, die von ehemaligen hohen Tieren im Sicherheitsapparat kam, wirkte manchmal willkürlich und irgendwie gesteuert. In Bezug auf den Gaza-Krieg im letzten Sommer etwa wurde dem Premier ausgerechnet von links vorgeworfen, er sei "gescheitert", weil es nicht gelungen sei, die Hamas ganz zu zerschlagen.

Der von Netanjahu proklamierte "große Sieg" ist indes ein ziemlich kleiner. In seiner jetzt auslaufenden Amtszeit hatte er eine große Koalition mit der bis jetzt zweitgrößten Partei, Jesch Atid von Yair Lapid. Wenn Netanjahu sich jetzt mit einer schmalen, von Rechten und Religiösen dominierten Koalition zufriedengeben müsste, wäre das finster für ihn und für das ganze Land. Für das Klima im Inneren, aber auch für das Verhältnis zu den Palästinensern, den USA und Europa wäre es besser, wenn Lapids Partei und vielleicht sogar die Arbeiterpartei dabei wären. Aber im Wahlkampf ist man derart unfreundlich zueinander gewesen, dass es schwer sein wird, gemeinsam am Regierungstisch zu sitzen.(Ben Segenreich, DER STANDARD, 19.3.2015)