Job verloren - was nun?

STANDARD: Die Beratung in der beruflichen Neuorientierung nach Kündigung ist eines Ihrer Arbeitsgebiete. Was zwingt Unternehmen zu Kündigungen, die die Betroffenen in keiner Weise erwartet haben?

Reichelt: In der Regel sind es organisatorische und wirtschaftliche Optimierungsmaßnahmen. Wenn von Unternehmen die sogenannte "Freisetzungsliste" geplant wird, liegt der Fokus primär auf den Mitarbeitern, die scheinbar nicht mehr die geänderten Qualifikationsanforderungen erfüllen beziehungsweise deren Aufgaben ausgelagert oder durch noch stärkere Arbeitsverdichtung auf andere Mitarbeiter übertragen werden. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, konzentriert man sich besonders auf jene Angestellte, mit denen auch in persönlicher Hinsicht keine harmonische Zusammenarbeit besteht oder die aus Gründen häufiger Arbeitsausfälle durch Krankheit nicht mehr den Kennzahlen der sogenannten Produktivität entsprechen.

STANDARD: Wenig im Leben ist tatsächlich alternativlos. Weshalb ist die Schocktrennung in den von Ihnen beschriebenen Fällen dennoch der Weisheit letzter Schluss?

Reichelt: Erfahrungsgemäß ist in den beschriebenen Fällen ein schneller, klarer Schnitt für alle Beteiligten der im Rückblick beste Schritt. Das zeigt sich immer, nachdem der entlassene Mitarbeiter in eine neue Realität hineingewachsen ist. Denn glücklicherweise stelle ich immer wieder fest, dass die meisten so entlassenen Mitarbeiter nach dem ersten Schock eine hohe Dynamik und Anpassungsfähigkeit an den Tag legen, um neue Perspektiven zu entwickeln. Letzteres ist ja gerade auch der Sinn der Outplacement-Beratung. Das, was nach dem ersten Schock nicht vorstellbar ist, tritt dennoch ein, nämlich dass sich die Gekündigten spätestens nach einem Jahr wieder in einem Arbeitsverhältnis befinden, manchmal sogar unter besseren Bedingungen als vorher. Im Nachhinein stellen dann viele fest, dass - wenn auch unfreiwillig ausgelöst - die berufliche Neuorientierung längst überfällig war, oft auch im Hinblick auf geänderte persönliche Lebensumstände.

STANDARD: Hinter den beschriebenen Fällen steht eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Worauf basiert die?

Reichelt: Nach wie vor sehr simpel: Wenn Erträge nicht gesteigert werden können, wird eben an der Personalkostenschraube gedreht! Durch die Reduzierung von Head Counts werden Bilanzen rasch aufgehübscht, was die damit verbundenen Personalfreisetzungen vordergründig legitimiert. Allerdings sollten wir auch hier über das Vordergründige hinausblicken. Die Hintergründe einer arbeitgeberseitigen Kündigung sind keineswegs immer so motiviert. Wie bereits erwähnt, spielt hier die Qualität der Zusammenarbeit oft die Hauptrolle, weil sie in persönlicher oder fachlicher Hinsicht nicht mehr als positiv gewertet wird. Die Erwartungen der einen Seite und die Entwicklungen der anderen, wir kennen das auch aus dem Privaten, driften eben auch mal auseinander. Dennoch werden auch in diesen Fällen betriebliche Gründe vorgeschoben, da die rechtlichen Voraussetzungen für eine verhaltens- oder personenbezogene Kündigung fehlen. Üblicherweise werden diese Trennungen mit einer individuellen Aufhebungsvereinbarung durchgeführt.

STANDARD: Müssen sich Führungskräfte also der Tatsache bewusst sein und sich darauf einstellen, dass sie von jetzt auf gleich arbeitslos werden können?

Reichelt: Ja, auch hier gilt: Niemand ist unersetzlich! Die Zeiten der langfristigen Arbeitsplatzsicherheit sind längst vorbei. Selbst die nachrückende Generation hat nicht mehr die Vorstellung, ihren beruflichen Weg in nur einem Unternehmen zu machen. In den vergangenen 30 Jahren wurden enorm viele Arbeitsplätze in den unteren und mittleren Hierarchieebenen abgebaut. Seit ungefähr 15 Jahren trifft das auch massiv die Management-Positionen. Die schnelle Ablösung von Fußballtrainern ist ein Spiegelbild dessen, was auch in Industrie und Wirtschaft läuft, wenn sich zeitnah nicht die gewünschten Resultate einstellen. Führungspositionen liegen in einer höheren Gehaltsstruktur, und deshalb werden sie noch kritischer auf Effizienz geprüft. In diesen Etagen weht der Wind rauer, auch in den persönlichen Beziehungen. Ein neuer Vorstand oder Geschäftsführer nimmt erfahrungsgemäß schnell diese Riege ins Visier. Übrigens, auch Vorstände und Geschäftsführer sind von Nacht-und-Nebel-Aktionen einer Entlassung betroffen. Ein Headhunter sagte mir kürzlich, dass die Direktansprache dieser Hierarchieebene immer schwieriger wird, weil: Warum soll ich freiwillig das Unternehmen verlassen, wenn ich ohnehin damit rechnen muss, früher oder später gefeuert zu werden? Ich denke, in dieser Aussage liegt ein bitteres Realitätsempfinden, was ganz bestimmt nicht dahingehend förderlich ist, sich als Führungskraft mit besonderem Herzblut für Unternehmen und Mitarbeiter zu engagieren.

STANDARD: Wie sollte man sich in gehobener Position auf diesen Fall einstellen?

Reichelt: Den Schwanengesang frühzeitig erkennen! Indikatoren sind die Unternehmenszahlen, die Profitabilität des eigenen Bereichs und die allgemeine betriebliche Tendenz, Personalkosten zu senken. Auch zunehmend kritische Auseinandersetzungen mit den nächsthöheren Vorgesetzten sind ein wesentliches Alarmsignal. Ich empfehle: Sobald jemand ein untrügliches Gefühl hat, dass sein Arbeitsplatz gefährdet ist, sollten die Fühler auf dem Arbeitsmarkt ausgestreckt werden. Allein die Auseinandersetzung damit, für einen Wechsel bereit zu sein und seine beruflichen Möglichkeiten zu erkennen, sind die ersten Schritte, sich nicht alternativlos dem Unternehmen ausgeliefert zu sehen. Eine Rechtsschutzversicherung ist ebenfalls ein beruhigendes Gefühl, um frühzeitig anwaltliche Unterstützung mit ins Boot zu holen. Es wirkt sich ungünstig aus, wenn jemand auf anwaltliche Rückendeckung verzichtet, nur weil die Kosten gescheut werden.

STANDARD: So weit die Theorie. Wie sieht die Sache mit der Einstellung tatsächlich aus?

Reichelt: Trotz erhöhten Hintergrundwissens ist es auch bei Managern so, wider besseres Wissen den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, der Kelch möge an ihnen vorübergehen. Häufig spielt auch mit, im Fall der Fälle wenigstens eine Abfindung mitzunehmen. Spricht eine Führungskraft die als wackelig empfundene Situation proaktiv an, erhält sie in der Regel kein ehrliches Feedback - noch wird sie ja gebraucht. Das sich abzeichnende Schicksal selbst in die Hand zu nehmen ist sicherlich auch Ausdruck dessen, ob ein Mensch generell dazu neigt, sein Leben offensiv zu gestalten oder wie das Kaninchen vor der Schlange zu verharren.

STANDARD: Damit der Schock der plötzlichen Freizeit nicht zum Fahrstuhl ins Bodenlose wird - worauf kommt es als Schutz davor besonders an?

Reichelt: Sich bewusst zu neutralisieren, vielleicht auch im Rahmen eines Urlaubs mit Tapetenwechsel. Damit meine ich, die Phasen der Enttäuschung und Wut über den Arbeitsplatzverlust zu überwinden, einen Abstand zum Unternehmen zu gewinnen und bereit zu sein, sich vorbehaltslos darauf zu konzentrieren, dass es nun der Job ist, einen neuen Job zu finden. Je nach Persönlichkeit dauert dieser Prozess länger oder kürzer. Und - auch wenn es schwerfällt - die kritische Selbstreflexion, was möglicherweise der eigene Anteil war, den Arbeitsplatz zu verlieren. Außerdem ist in dieser Situation Selbstdisziplin besonders gefragt. Es ist wichtig, dem Tag eine Struktur zu geben und bisherige Gewohnheiten, z. B. sportliche Aktivitäten, erst recht aufrechtzuerhalten und einer eventuell aufkommenden Lethargie entgegenzuwirken. In den meisten Fällen wird die Outplacement-Beratung aktiv, sobald die Kündigung ausgesprochen ist, die üblicherweise mit einer sofortigen Freistellung einhergeht. Die oder der Geschasste wird bereits in dieser Situation von der Beratung "abgeholt" und vor allem in mentaler und psychologischer Hinsicht gestützt, bevor es dann in die pragmatische Phase der beruflichen Neuorientierung übergeht.

STANDARD: Gibt es Erfahrungswerte darüber, wie lange es nach einer abrupten Kündigung dauert, bis es zu einem neuen Arbeitsverhältnis kommt?

Reichelt: Der Durchschnitt liegt zwischen sechs und neun Monaten mit ca. 80 Bewerbungen. Der eine ist nach der dritten Bewerbung bereits nach vier Wochen fündig, der andere ist nach sechs Monaten und 100 Bewerbungen immer noch auf der Suche. Entscheidend sind die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen, Mobilität und gegebenenfalls auch die jobinhaltliche oder finanzielle Kompromissfähigkeit.

STANDARD: Wovon hängt es ab, ob diese Zeit kurz, lang oder ganz und gar sogar sehr lang wird?

Reichelt: Brenzlig wird es, wenn jemand auf die 60 zugeht, davon ausgenommen sind Kandidaten, die sich im Top-Management-Umfeld bewegen. Kandidaten, auch jenseits der 45+, mit weitgehend guten Qualifikationen haben grundsätzlich gute Chancen für ein baldiges neues Arbeitsverhältnis. Speziell bei der Gehaltsfrage ist es jedoch manchmal ein schmerzlicher Prozess, zu erkennen, dass das Austrittsgehalt nach 20 Jahren nicht mit dem Einstiegsgehalt bei einem neuen Unternehmen übereinstimmt, vor allem dann, wenn man sich weiterhin in gleicher Hierarchiestufe bewegt. Aus meiner Praxis kenne ich durchaus Fälle, in denen Mitarbeiter mit 58+ aus der Arbeitslosigkeit nahtlos in einen vorgezogenen Ruhestand übergingen.

STANDARD: Wen der Blitz der Freistellung aus heiterem Himmel trifft - was sollte die oder der auf gar keinen Fall tun?

Reichelt: Wenn arbeitgeberseitig die Kündigung herangetragen wird, dann keinesfalls vorschnell irgendwelche verbindlichen Aussagen treffen, geschweige denn irgendetwas unterschreiben. Emotionale Reaktionen sind verständlich und einkalkuliert. Dennoch sollten extreme Reaktionen, zum Beispiel mit Drohungen oder Beleidigungen verbunden, vermieden werden, um nicht noch zusätzliche Begründungen für die vorgesehene Kündigung zu liefern. Bevor sich jemand mit dem Arbeitgeber weiterführend austauscht, sollte man sich unbedingt mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten. Weiterhin sollte kein Gesprächstermin angenommen werden, ohne dass der Betriebsrat hinzugezogen wird. Wenn diese Institution nicht besteht, dann nur kommentarlose Kenntnisnahme der geplanten Maßnahme mit Selbstprotokollierung. Ob jemand mit Klage vor dem Arbeitsgericht um seinen Arbeitsplatz kämpft oder dazu tendiert, das Unternehmen zu verlassen - in jedem Fall sollte ein Anwalt die weitere Kommunikation mit dem Arbeitgeber unterstützen oder sogar ganz übernehmen.

STANDARD: Ein abschließender Rat an Schockgekündigte ...

Reichelt: Nichts ist so konstant wie die Veränderung! Gut beraten, wer das akzeptiert und sich darauf einstellt. Eine Kündigung, zumal eine plötzliche, ist ein Schock. Doch meine Erfahrung zeigt: Jeder findet nach einer Kündigung wieder seinen Platz im (Berufs-)Leben. Von den Unternehmen wünsche ich mir eine höhere Kreativität, partout nicht immer in die gleiche Kerbe zu hauen. Wenigstens die demografische Entwicklung und der Fachkräftemangel zwingen zu erstem Umdenken. (Hartmut Volk, DER STANDARD, 21./22.3.2015)