Jasmine Audemars ist eine Person, die es gewohnt ist zu führen. Das wird spätestens dann klar, wenn man der "Grande Dame de l'Horlogerie", wie sie die "Neue Zürcher Zeitung" beinahe ehrfürchtig bezeichnet, gegenübersitzt: Das ergraute Haar trägt die 73-Jährige gescheitelt, ihre Antworten, die sie in einem französisch angehauchten, aber sehr britischen Englisch - ihre Mutter war gebürtige Engländerin - vorträgt, sind präzise.

Durchsetzungsvermögen und Sturheit

Im Umgang mit Journalisten ist sie geübt. Immerhin leitete sie zwölf Jahre lang das "Journal de Genève" - als erste Chefredakteurin der Schweiz überhaupt. Um so weit zu kommen, braucht es ein ordentliches Maß an Durchsetzungsvermögen, vermutlich auch Sturheit.

Gut möglich, dass sie diese Veranlagung auch dazu bewogen hat, den scheinbar vorgezeichneten Weg zu verlassen. Immerhin trägt sie einen der ganz großen Namen der Uhrenbranche. Ihr Urgroßvater war Jules-Louis Audemars, Gründer einer der bedeutendsten Luxusuhrenmanufakturen der Schweiz, die sich seit Bestehen in Familienbesitz befindet: Audemars Piguet. "Ich würde mich sofort wieder für den Journalismus entscheiden, ich habe diesen Job heiß geliebt", sagt Audemars, wenn man sie darauf anspricht.

Ärmel hochkrempeln für den Familienbetrieb. Jasmine Audemars denkt auch mit 73 noch nicht ans Aufhören.
Foto: Audemars Piguet

Die Marke und nicht zuletzt deren 1972 lanciertes Modell "Royal Oak" genießen Kultstatus. Entworfen wurde die Nobeluhr, die noch immer zu den Bestsellern des Hauses zählt, mit sichtbar verschraubtem Gehäuse von Gerald Genta, den Audemars einen der besten Uhrendesigner der Welt nennt.

"Das war mitten in der Quarzkrise. Wir wurden als verrückt bezeichnet", erinnert sie sich. 1992 folgte Jasmine Audemars dem Ruf aus Le Brassus, als es darum ging, die Nachfolge ihres Vaters anzutreten. In jenes Dorf im Jura, wo sie aufgewachsen ist und wo sich nach wie vor der Firmensitz der 1875 gegründeten Manufaktur befindet. Auch diesen Wechsel habe sie nie bereut, beteuert sie. Wir trafen sie beim Genfer Uhrensalon.

STANDARD: War Ihr großer Name zu irgendeiner Zeit ein Problem für Sie?

Audemars: Nein, überhaupt nicht. Natürlich ist damit auch eine gewisse Verantwortung verbunden - für die Mitarbeiter, für die Region, wo wir ein großer Arbeitgeber sind. Le Brassus ist ein Dorf mit 1600 Einwohnern. 99 Prozent der Einwohner leben direkt oder indirekt von der Uhrenindustrie.

STANDARD: Apropos: Ukraine-Krise, Rubelverfall, die Zurückhaltung der Chinesen, die Verwerfungen rund um den Franken ... herrscht Krisenstimmung in der Uhrenindustrie?

Audemars: Russland hat mit dem niedrigen Ölpreis zu kämpfen, Chinas Wirtschaftswachstum kühlt sich ebenfalls ab. Aber das ist normal. Die chinesische Wirtschaft konnte nicht auf ewig im zweistelligen Bereich wachsen. Die ganze Welt ist im Umbruch. Aber zum Glück gibt es Länder, die durchaus stabil sind, die USA zum Beispiel, aber auch Mexiko. Also nicht die ganze Welt bricht zusammen.

STANDARD: Die Verwerfungen rund um den Franken bringen Sie nicht aus der Ruhe?

Audemars: Wir haben schon viele turbulente Zeiten durchgemacht. Das wird gerne vergessen, es war nicht immer einfach. Die Branche hat daraus gelernt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch diese stürmische See durchsegeln werden. Unser Unternehmen steht finanziell auf soliden Beinen. Fragilere Sparten wie beispielsweise die Maschinenbauindustrie wird das sicher härter treffen. Sie hat weit weniger Reserven als unsere Branche. Zudem ist der Wettbewerb härter, weil zum Beispiel Deutschland auch eine starke Maschinenbauindustrie hat. Ich befürchte, manche werden aus der Schweiz abwandern. Ganz besonders hart trifft es den Tourismus.

Das Stammhaus von Audemars Piguet in Le Brassus
Foto: Audemars Piguet

STANDARD: Wie kann man solche Entwicklungen austarieren?

Audemars: Man muss geduldig sein und versuchen, nicht alles auf einen Markt zu setzen. Wir sind zum Beispiel erst sehr spät auf den chinesischen Markt gegangen.

STANDARD: Warum?

Audemars: Wir kommen aus dem Jura, wir sind Bergler und von Natur aus sehr vorsichtig. Und jetzt sind wir sehr glücklich mit dieser Entscheidung. Europa war und ist immer wichtig. Unsere Wurzeln sind in Europa, deshalb sind wir weltweit so stark.

STANDARD: Wurzeln - ein gutes Stichwort: Worüber würden Sie sich mit Ihrem Urgroßvater gerne unterhalten?

Audemars: Über Uhren natürlich! Das war in meiner Familie immer schon das beherrschende Thema. Auch meine Kindheitserinnerungen drehen sich darum - mein Vater und mein Großvater haben sich jeden Tag, jeden Abend über Uhren unterhalten. Sie sprachen über technische Probleme und Entwicklungen, den Markt und Leute aus dem Uhrenbusiness. Ich wurde da hineingeboren.

STANDARD: Was würde er sagen, wenn er heute eine Uhrenmesse besuchen würde?

Audemars: Beim Anblick der vielen Zeitmesser wäre er sehr glücklich: über die Vielzahl der Modelle, die technischen Errungenschaften - vor allem natürlich darüber, dass sich seine Firma so glänzend entwickelt hat. Andererseits wäre er wohl sehr verwundert über den Aufwand an Marketing und PR, der heutzutage notwendig ist, um Uhren zu vermarkten. Zu seiner Zeit hat dieses ganze Drumherum einfach nicht existiert. Die Uhren haben sich quasi von selbst verkauft. Aber natürlich war die Industrie auch viel kleiner und überschaubarer.

STANDARD: Sei meinen, es muss heute alles viel schneller gehen?

Audemars: Die Leute vergessen oft, dass unser Geschäft in zwei Geschwindigkeiten abläuft. Marketing, PR, Social Media etc. Um diese Seite zu bedienen, muss man ständig Neues bringen und schnell kommunizieren. Auf der anderen Seite sieht die Sache anders aus: Es dauert Jahre, um ein neues Uhrwerk zu entwickeln. Wir haben immer versucht, eine Balance zwischen diesen beiden Geschwindigkeiten zu finden.

An der "Royal Oak Concept RD#1" wurde acht Jahre lang geforscht. Ziel war es, den Klang der Minutenrepetition besonders rein und klar hinzubekommen. Neben der Lautstärke, der Tonhöhe, dem Nachklang sowie dem harmonischen Verhältnis zum nächsten Ton kommt es beim Klang auch auf die Reinheit und die Anzahl der Obertöne an, die den Klang voller machen. Daher wurde auch ein neuer Fliehkraftregler entwickelt, der nahezu unhörbar ist und den Klang daher nicht beeinträchtigt. Die Royal Oak Concept RD#1 besitzt ein 44 Millimeter großes Titangehäuse. Neben der Minutenrepetition verfügt dasManufakturkaliber 2937 mit Handaufzug über einen Chronographen und ein Tourbillon.
Foto: Audemars Piguet

STANDARD: Wie geht man mit diesem Druck um?

Audemars: Es ist eine Herausforderung. Und das ist gut so, sonst würden wir einschlafen. Die Kunst ist, immer ein gutes Produkt abzuliefern, das innen und außen überzeugt. Sonst würden wir zum Schluss unsere eigenen Regeln brechen.

STANDARD: Wie viel Einfluss nehmen Sie persönlich auf die Uhren-Entwicklung?

Audemars: Gar keinen! Das wäre ein Desaster! Ich bleibe bei meinen Leisten und mische mich nicht in die Arbeit der Profis ein. Natürlich sage ich auch, wenn mir etwas nicht gefällt, und natürlich spreche ich mit den Mitarbeitern über diese Dinge.

STANDARD: Wie kann eine Marke wie Audemars Piguet jüngere Menschen zur mechanischen Uhr bringen? Die Preise scheinen von Jahr zu Jahr zu steigen.

Audemars: Im Gegensatz zu dem vorher Gesagten, nämlich dass die ganze Welt verrücktspielt, gibt es immer mehr wohlhabende Menschen. Vor allem auch immer mehr junge wohlhabende Menschen.

STANDARD: Das heißt, es wird keine Kollektion für weniger als 2.000 Euro geben?

Audemars: Das passt doch gar nicht zu uns. Wenn wir mit so einer Kollektion auf den Markt kämen, würden wir jegliche Glaubwürdigkeit verlieren.

STANDARD: Steht die Unabhängigkeit von Audemars Piguet zur Debatte?

Audemars: Niemals. Wir bleiben unabhängig, das ist unser oberstes Ziel. (Markus Böhm, Rondo exklusiv, DER STANDARD, 24.4.2015)