Verräter, Opportunist, käuflicher Wendehals: Es gab wohl kaum einen Tag im Leben des Senol Akkiliç, der ihm eine größere Wucht an schlechter Nachrede einbrachte als der Freitag vor den Osterferien. Und es ist paradox, dass er mit jahrelanger inhaltlicher Arbeit nicht schaffte, was ihm mit einem einzigen machtpolitischen Schritt gelang: Nun kennt man ihn plötzlich, den Wiener Gemeinderat, der als 13-Jähriger aus dem kurdischen Teil der Türkei nach Wien kam.

Doch nicht das, wofür der 49-Jährige seit seinem Start im Landtag eintrat, machte ihn berühmt, sondern der rasante Wechsel politischer Positionen: Hatte er Tage zuvor als grünes Klubmitglied noch implizit eine Reform des Wiener Wahlrechts gefordert, stimmte er am Freitag im Gemeinderat bereits dagegen. Akkiliç ist jene kostbare Stimme im Gemeinderat, die den Roten die Sperrminorität bei der Abstimmung über die Reform sicherte. Dafür verachten ihn nun viele, der Brecht'sche Spruch vom Fressen, das über die Moral gestellt wird, fiel am Freitag nicht nur einmal.

Dabei kannte man den zweifachen Vater bisher als Politiker, der sich Themen widmet, die nicht gerade populismusfähig sind. Als Flüchtlinge die Votivkirche besetzten und von Boulevardmedien deshalb verunglimpft wurden, setzte er sich für die Refugees ein. Als langjähriger Beschäftigter in Jugendzentren kennt er die sogenannten Bildungsfernen, von denen andere nur theoretisieren, aus nächster Nähe. Dass er für jene eintrat, die keine (Wähler-)Stimme haben, war auch manchen Wiener Grünen zu viel. Gleichzeitig ließ er aus Sicht vieler Parteikollegen Engagement vermissen, sein Misserfolg bei der Listenerstellung für die Wien-Wahl war absehbar gewesen.

Dass er zu den Roten wechseln würde, hatte indes niemand erwartet. Freunde sehen den Schritt als Reaktion auf die tiefe Kränkung, die er seit seiner Abfuhr bei der internen Wahl in sich getragen habe. Akkiliç gehe es nicht um Geld, meinen sie, sondern darum, weiter im Gemeinderat für seine Ideale eintreten zu können. Ihm weniger freundlich gesinnte Parteikollegen glauben, es gehe ihm vor allem um Macht und Geld. Jedenfalls deutet sein Schritt von einer gewissen politischen Naivität: Nicht wegen seiner Qualitäten holten ihn die Roten ins Boot, sondern nur für diese eine Abstimmung. In spätestens fünf Jahren werden sie ihn nicht mehr brauchen. Der Ruf des Fähnchens im Wind wird ihm bleiben. (Maria Sterkl, DER STANDARD, 28.3.2015)