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Marco Michael und seine Band des Jahres, Wanda, gewinnen bei den im Volkstheater verliehenen "Amadeus Awards" nur in zwei Nebenkategorien. Es liegt nicht an ihnen. Das Problem heißt Ö3.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Wien - Hallo, Shitstorm! Vielleicht wäre es nach einem Jahr unter der Regentschaft Conchita Wursts und dem von ihr eingeforderten Begriff der Toleranz jetzt einmal Zeit, auf eines hinzuweisen: Toleranz leitet sich vom lateinischen Wort für "erdulden" ab. Erdulden bedeutet, dass etwas unangenehm ist. Weil wir aber nicht Nein sagen können oder zu feig sind, um uns zu beschweren, ziehen wir den Kopf ein und sitzen es aus, denken uns aber unseren Teil. In der Philosophie existiert dafür die Unterform der "repressiven Toleranz". Ich halte es eh aus, wie du bist, aber eine Watsche würde dir auch guttun.

Abgesehen von ihrer Rolle als Feigenblatt für eine Gesellschaft, die sich - Kurzfassung - seit den 1970er-Jahren nicht wesentlich weiterentwickelt hat, ist Conchita Wurst musikalisch gesehen Schnee von gestern. Sie ist die Grande Dame des aus dem Lied vom Phönix aus der Asche und sonst noch ganz viel Celine Dion und Titanic bestehenden Durchhalteschlagers. Dieser leitet sich historisch von Zarah Leander (Davon Geht Die Welt Nicht Unter) über Gloria Gaynor (I Will Survive) bis zu Whitney Houston (Greatest Love Of All) und Stefanie Werger ab (Stark wie ein Felsen).

Jetzt gibt es bei den diesjährigen Amadeus Awards, den wichtigsten, weil einzigen Musikpreisen des Musikstandorts Österreich, auch ein neues Lied zu hören. Es heißt Heroes. Hier wird nun statt Toleranz endlich Respekt eingefordert. Wertschätzung, Achtung, Anerkennung. Leider stammt das Lied nicht von David Bowie. Conchita Wurst bedankt sich bewegt während der zeitversetzt auf ATV übertragenen Preisverleihung für zwei Preise. Sie ist Künstlerin des Jahres. Ein starkes, einige philosophische Fragen bezüglich Gender, Gendering und Re-Gendering auftuendes Signal, keine Frage. Und sie hat mit Heroes das beste Video und mit Rise Like A Phoenix den besten Song vorzuweisen. Man darf gespannt sein, ob im österreichischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen das Heroes-Video je vollständig zu sehen sein wird. Irgendwie gibt es nämlich außer Mei liabste Weis und Musikantenstadl keine Sendeformate für junge, fetzige Musik. Hier ist einmal mehr der Gesetzgeber gefragt!

Todesstern Ö3

Christl Stürmer bekommt heuer zum ersten Mal seit 15 Jahren keinen Preis, verleiht aber irgendeinen. Die Preisträger in Kategorien wie "Band des Jahres" (Tagtraeumer), "Uns-ist-Metal-weiß-Gott-egal" (Bloodsucking Zombies From Outer Space) oder "Electronic/Dance" (Parov Stelar, der James Last der Laptopszene) ziehen an einem vorüber wie die Namen der außerhalb der Todessterne Landesstudio Niederösterreich und Ö3 meist völlig unbekannten anderen Nominierten. Aber man ist ja für alles dankbar. Es gibt den vom IFPI Austria, dem Verband der Österreichischen Musikwirtschaft, ausgerichteten Preis immerhin. Und immerhin wird die Zeremonie zumindest auf ATV übertragen, nachdem auf dem Küniglberg schon vor Jahren eine Fachkraft die Einseridee hatte, dass heimische Popmusik im Fernsehen nichts zu suchen hat.

Wanda, die lässig abgerockte Neuversion des Austropop ohne fades Muckertum, ist natürlich nicht nur die "FM4-Award"- und "Alternative Pop/Rock"-Band des Jahres. Wanda ist die wahre Band des Jahres. Das weiß jeder im Saal. Die Jury, die man nicht kennt, hat sich anhand Kriterien, die niemand weiß, aber für Tagtraeumer entschieden. Die singen bundesdeutsch wie Christa Stürmer, sind sehr brav - und man kann sie untertags auf Ö3 spielen.

Wanda und Bilderbuch, die andere tolle junge Band aus Österreich, die derzeit in Deutschland abgefeiert werden, sind ins Nachtprogramm verbannt. Im Nachtprogramm spielt man den Dreck, schnell, schnell, wenn niemand zuhört, um mit Österreicherquote angeben zu können. Fakt, man muss sich nur die Ö3-Playlists anschauen. Es ist eine Schande.

Wo wir schon bei Emotionen sind: Herbert Grönemeyer singt zu Ehren des zum "Künstler des Jahres" gewählten Udo Jürgens dessen spätes Lied Wohin geht die Liebe, wenn sie geht. Bushido-Schüler Nazar verspricht als bester "Hip-Hop/Urban" der Konkurrenz, heuer Pause zu machen (Respekt auch von dieser Seite!). 5/8erl in Ehr'n gewinnen verdient "Jazz/World/Blues". Arik Brauer bekommt einen Amadeus für sein Lebenswerk. Außer Conchita Wurst haben vergangenes Jahr leider keine anderen Frauen gescheite Musik zusammengebracht.

Anlass zum Ärger bietet wieder einmal der idiomatisch dem Doktor-Haider- und -Strachetum immer näher rückende Andreas Gabalier (Live-Dings des Jahres). Er beschimpft die Leute von FM4 als Drogensüchtige und sieht sich als männliche, heterosexuelle und bartlose Minderheit ein wenig ausgegrenzt. Wir tolerieren das. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 31.3.2015)