Die Masken sind gefallen: Jean-Marie Le Pen, Gründer des französischen Front National (FN), zeigte zuletzt mit bewusst anstößigen Sprüchen wieder einmal sein wahres Gesicht - womit auch der lang verdrängte Streit zwischen Tochter und Vater offen ausbricht. In Paris meinen viele, Marine Le Pen habe nur auf eine Gelegenheit gewartet, sich von seiner Kuratel zu befreien.

Der rechtsradikale Greis ist sogar für die meisten FN-Koryphäen untragbar geworden. Und das will etwas heißen. Jean-Marie Le Pen wird sein Lebenswerk aber nicht kampflos preisgeben. Und wenn der 86-jährige Skandalpolitiker seine destruktive Energie gegen die eigene Tochter wendet, steht seiner Partei eine ähnliche Zerreißprobe bevor wie der bürgerlichen UMP oder dem Parti Socialiste.

Einmal mehr zeigt sich: Extremparteien haben eine beschränke Halbwertszeit. Die Frontisten geraten sich in die Haare, noch bevor sie auch nur in die Nähe der Regierungsverantwortung gekommen sind. Und wenn es Marine Le Pen gelingen sollte, ihren Vater ohne größeren Schaden aus der Partei zu verdrängen, wird sie es politisch nur noch schwerer haben. Denn ohne ihren wirtschaftsliberalen Vater wird sie einen national-protektionistischen Kurs - inklusive Euroausstiegs - einschlagen, der Frankreich an die Wand fahren würde. Das sollte doch einigen FN-Wählern einige ihrer Illusionen rauben - eigentlich eine gute Nachricht für Frankreich. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 9.4.2015)