Der jüngste Fall tödlicher Schüsse eines weißen Polizisten auf einen unbewaffneten Schwarzen sorgt zu Recht für Empörung - auch deshalb, weil ein Handyvideo zeigt, dass der Polizist gelogen hat. Doch auch eine Mordanklage gegen ihn wird an den Grundübeln, die solche Vorfälle ermöglichen, nichts ändern. Und von denen gibt es so viele, dass schnelle Lösungen nicht in Sicht sind.

Es beginnt mit dem immer noch weit verbreiteten Rassismus, vor allem in jener unteren weißen Mittelschicht, aus der sich die Polizei zumeist rekrutiert. Mehr Diversität bei der Exekutive scheitert oft daran, dass zu viele junge schwarze Männer Vorstrafen haben.

Das wiederum ist Folge der wachsenden Ungleichheit und der riesigen Unterschicht, zu der Minderheiten oft zählen. Wer in den USA arm ist, hat wenig Schulbildung, wohnt in Vierteln mit viel Kriminalität, erhält kaum staatliche Hilfe - und gerät leicht mit dem Gesetz in Konflikt.

Man muss aber auch die Polizisten verstehen, die sich in brenzligen Situationen bedroht fühlen. Auf Amerikas Straßen kann jeder bewaffnet sein, weil Waffenbesitz nicht beschränkt ist; und viele Verdächtige sind es auch. Kein Wunder, dass Polizisten rasch zur Schusswaffe greifen.

Sind die Schüsse tödlich, dann wissen die Beamten, dass sie meist ungeschoren bleiben. Beim Staatsanwalt und vor Gericht wird ihnen geglaubt - viel mehr als allfälligen Zeugen, die oft selbst schwarz, arm und vorbestraft sind.

Und das US-Justizwesen strotzt vor Ungerechtigkeiten, erweist sich gerne als Lotterie, in der das Risiko harter Urteile direkt von den finanziellen Mitteln des Angeklagten abhängt. Ermittler und Staatsanwälte streben aus Karrieregründen Schuldsprüche an und nehmen es dabei mit der Wahrheit nicht immer so genau.

Verschärft werden diese Missstände durch das Festhalten an der Todesstrafe, die arme Schwarze viel eher trifft als andere US-Bürger. Das Problem ist nicht nur, dass Hinrichtungen barbarisch sind, egal ob per Giftspritze oder Erschießung, sondern dass sie die Fehler der Polizei und Justiz unumkehrbar machen. Hunderte Unschuldige saßen und sitzen in der Todeszelle, viele verloren ihr Leben.

Das Argument Unschuld gilt sicher nicht für den Boston-Attentäter Dschochar Zarnajew. Dennoch ist zu hoffen, dass sich die Geschworenen für eine lebenslange Haftstrafe entscheiden. Eine Hinrichtung wäre ein weiterer dunkler Fleck auf der Weste des US-Justizsystems. (Eric Frey, DER STANDARD, 10.4.2015)