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Chinas Wachstumszahlen sind im Vergleich zu Europa oder den USA noch immer sehr hoch. Allerdings steckt China als Schwellenland mitten in einer Umbauphase seiner Wirtschaft.

Foto: Reuters/Lee

Für China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, fängt das erste Quartal 2015 mit sieben Prozent Zuwachs schlecht an. Es ist der schwächste Wert seit sechs Jahren. Schon die nationalen Morgennachrichten stimmten Mittwoch früh ihre Hörer auf den wirtschaftlichen Abwärtsdruck ein, unter dem das Land steht, noch bevor Statistikchef Sheng Laiyun Stunden später die Zahlen öffentlich bekanntgab.

Der Staatsrundfunk meldete, dass Premier Li Keqiang vor führenden Ökonomen und ausgewählten Konzernchefs des Landes am Vortag vor den neuen Problemen gewarnt hatte. Zwar stimme insgesamt die Richtung beim Umbau der Wirtschaft. Auch bleibe das Potenzial der Entwicklung enorm, "Aber wir müssen klar erkennen, das sich der Abwärtsdruck weiter verschärft. Wir müssen uns damit wissenschaftlich auseinandersetzen, die objektiven Ursachen und die subjektiven Gründe dafür analysieren. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es zu noch größeren Schwierigkeiten kommt." Der Premier kündigte "flexible und gezielte Gegenmaßnahmen" an. Er nannte die geplante, weitere Entbürokratisierung der Wirtschaft, sowie zusätzliche Finanz -, Preis-und Steuerreformen. "Wir werden vielfältige Werkzeuge zur Aussteuerung unseres Wirtschaftskurses einsetzen " .

Peking besorgt

Wer mit der Denkweise des Premier vertraut ist, wusste bereits, wie besorgt Peking auf die aktuelle Wachstumsentwicklung schaut. Die Nachrichtenagentur "Xinhua" gab überraschend Montag abend den Rückgang im Frachtvolumen der Bahn als Einzelmeldung vorab bekannt. Bahnfrachten seien in den ersten drei Monaten 2015 um neun Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen. Diese Zahl zeige "so wie viele andere Indikatoren die anhaltende Schwäche unserer Wirtschaft."

Die Vorabwarnung war bewusst gewählt. Li hatte 2007, als er noch Provinzchef von Nordostchinas Liaoning war, drei entscheidende Kennziffern genannt, die ihm helfen würden, die wirkliche Lage der Wirtschaft zu beurteilen: die Frachtleistung der Bahn, die Nachfrage nach Strom und die nach Krediten. Alle anderen Statistiken betrachte er mit Vorsicht. Die drei Zahlen werden seither als sogenannter "Li Keqiang-Index" bezeichnet. Im ersten Quartal 2015 fielen alle drei Frühindikatoren für die Probleme der chinesischen Wirtschaft stark ab.

Änderung der Struktur

Statistikchef Sheng relativierte allerdings die Bedeutung. Er erklärte den starken Rückgang im Frachtaufkommen mit der Änderung der Transportstruktur und Reduktion von Kohle- und Eisenerzfrachten. Sheng nannte keine konkreten Zahlen für den ebenfalls stark rückläufigen Stromverbrauch, sondern nur Zahlen für die abfallende Stromerzeugung. Im ersten Quartal fiel sie um 0,1 Prozent unter die Stromproduktion im Vorjahresquartal.

Insgesamt zog Sprecher Sheng eine positivere Bilanz als sein Premier. Sieben Prozent Wachstum seien im internationalen Vergleich eine "ziemlich hohe Wachstumszahl." Angesichts der stark zugenommenen Wirtschaftsbasis seien sie ein "ziemlich großer Zuwachs" in der Wirtschaftsleistung des Landes. Die Umstrukturierung Chinas von einer export-, ressourcen-. und investitionsabhängigen Ökonomie zur nachhaltigen Binnenwirtschaft sei auf gutem Weg. Dies zeige auch der weitere Anstieg und Anteil des Dienstleistungs- oder tertiären Sektors an der Wirtschaftsleistung (GDP). Er kletterte auf 51,6 Prozent im ersten Quartal. Der Anteil der Dienstleistungen lag 2013 bei 46,9 Prozent und stieg 2014 auf 48,2 Prozent. Eine Abschwächung des gesamten Wirtschaftswachstum sei erwartet worden. Sie bleibe aber im rationalen Rahmen. "Vor allem, weil die Beschäftigungslage, niedrige Verbraucherpreise und Markterwartungen stabil sind."

Viele Wirtschaftsexperten, darunter auch chinesische Wirtschaftsforscher aus der Akademie für Sozialwissenschaften sind skeptischer. Sie hatten ein niedrigeres Wachstum für das ersten Quartal vorausgesagt unter den von Sprecher Sheng genannten 7,0 Prozent. Auch der internationale Währungsfonds (IMF) sieht Chinas Wachstum 2015 auf 6,8 Prozent fallen und geht 2016 von 6,3 Prozent aus.

Chinas Schubkraft für die Weltwirtschaft könnte leiden

Solche Zahlen sind die Grundlagen für befürchtete Auswirkungen auf Chinas Schubkraft für die Weltwirtschaft. Chinas Zoll hatte am Montag für das erste Quartal 2015 einen Einbruch im Außenhandel um sechs Prozent gemeldet, darunter einen doppelstelligen Rückgang bei den Einfuhren. Auch Statistikchef Sheng sieht handelsmäßig +einen "weiteren Rückgang im nächsten Quartal."

Die meisten am Mittwoch vorgelegten Zahlen deuten nach unten. Im Inland stieg Januar bis März der traditionell höher als das Wirtschaftswachstum ausfallende Anstieg der Industrieproduktion nur noch um 6,4 Prozent. Im Vorjahresquartal hatte er 8,7 Prozent betragen. Im Einzelmonat März 2015 waren es nur noch 5,6 Prozent Zuwachs. Es sind solche Entwicklungen, die die Sorgen von Premier Li besser verstehen lassen.

Auch die konjunkturtreibenden Wohnungsbauinvestitionen fielen stark, ebenso wie alle Anlageinvestitionen, die nur noch um 13, 5 Prozent stiegen. 2014 waren es 17,6 Prozent Zuwachs. Bei Auslandsinvestitionen kam es im ersten Quartal zum stärksten Einbruch mit 33,5 Prozent unter den Zahlen im Vorjahresvergleich. Chinas Konsum hielt sein doppelstelliges Wachstum. Positive Überraschungen bot aber nur der Online-Kommerz mit einem Zuwachs von 41,3 Prozent.

Die Zahl bäuerlicher Wanderarbeiter fiel frühlingsfest bedingt Anfang 2015 um sechs Millionen auf 163 Millionen Arbeitsmigranten, die sich als Billigarbeiter in den Städten verdingen . Ihre Löhne stiegen weiter an, im Monatsdurchschnitt auf 3000 Ýuan (454 Euro), eine Zunahme um 11.9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Er zeigt, in welchem Tempo sich die Arbeitskosten im einstigen Billiglohnland China erhöhen, noch bevor es seine Umstrukturierung abgeschlossen hat. (Jonny Erling, derStandard.at, 15.4.2015)