Mit dem Radzubehör Fontus schöpft Kristof Retezár Kondenswasser aus dem Fahrtwind.

Foto: Kristof Retezár

Das Wesentliche kann nah liegen und doch unsichtbar sein. Obwohl sie das lebenswichtige Element ständig umgibt, leiden auch Menschen in Gebieten mit hoher Luftfeuchtigkeit an Wasserknappheit. Etwa 13.000 Kubikkilometer Wasser liegen in der Atmosphäre vor, während nach Schätzungen der UN 748 Millionen Menschen kein sauberes Trinkwasser haben.

Dieses Paradoxon beschäftigte Kristof Retezár so sehr, dass es den Industriedesign-Studenten an der Universität für angewandte Kunst zu einer neuen Erfindung trieb: Fontus, der ersten Wasserflasche, die sich selbst auffüllt.

Gemeinsam mit dem Elektrotechnik-Studenten Bojan Masirevic entwickelte er ein Fahrradzubehör, das ab einer Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent die Luft als Quelle anzapft. An einer abgekühlten Stelle kondensiert der Wasserdampf, ähnlich wie bei der Oberfläche einer kalten Mineralwasserflasche im Sommer.

Die Abkühlung liefert ein sogenanntes Peltier-Element, das mit Solarstrom eine warme und eine kühle Seite im Fontus-Aufsatz erzeugt. Die gleiche technische Lösung findet auch bei Luftentfeuchtern und Kühlboxen Anwendung. Tropfen für Tropfen erntet Fontus aus dem Fahrtwind, der zusätzlich kühlt. Unter guten Bedingungen sammelt der Radaufsatz einen halben Liter in einer Stunde.

Die beiden Entwickler schafften es 2014 auf die Shortlist des prestigeträchtigen Awards des Staubsaugerherstellers James Dyson. Der internationale Wettbewerb prämiert studentisches Design und trat eine Welle der Aufmerksamkeit für den 25-jährigen Jungdesigner aus Wien los.

"Designer orientieren sich bestenfalls an Problemen und suchen Lösungen" , sagt Retezár. Manchmal verselbstständigt sich eine Idee aber und nimmt eine neue Wendung. So entwickelte sich der weltverbesserische Ansatz von Fontus zum Designerstück für Abenteurer, die sich nun auf Radreisen nicht mehr um knappe Wasservorräte sorgen müssen.

Die Grundfrage blieb erhalten: Wie stellt man die Wasserversorgung in Entwicklungsländern sicher? Deshalb tüftelt Retezár für die NGO Sunshine4Palestine an einem neuen System, das Menschen im Gazastreifen von der störanfälligen und teils zerstörten Infrastruktur unabhängig macht.

Mit etwa einem Meter Durchmesser und Materialien wie alten Containern, Kunststoff und Metallabfällen kann der Entwurf optisch mit dem schlanken Fontus-Aufsatz nicht konkurrieren. "Er muss auch nicht schön sein", sagt Retezár. Letztlich geht es darum, dass Menschen die eigene Wasserversorgung sichern. Beim Entwurf profitiert er von seiner fernsehfreien Kindheit in Patagonien. Damals übte er sein Geschick an improvisierten Hütten, die er zum Leidwesen der Nachbarn in der gesamten Umgebung aufstellte.

Ein Designer muss für den Wiener Studenten die Welt nicht neu erfinden, nur Bestehendes verbessern. Retezár räumt auch mit dem Mythos des einsamen Schöpfers auf: "Mit meinen beiden Diplomarbeitsprojekten laufe ich täglich zu einem anderen Experten."

Neben seinem Projekt für Gaza entwickelt der Designstudent auch Fontus weiter. Ein Nachfolgemodell soll ohne Fahrrad Wasser aus der Luft schöpfen. Auch mit der Fahrradflasche ist Retezár noch nicht am Ende: "Mein Traum wäre es, Fontus irgendwann in Serie herzustellen." (Marlis Stubenvoll, DER STANDARD, 15.4.2015)