In "Ditch Plains" (2013) von Loretta Fahrenholz stößt man im Urbanen auf "bodies": Opfer einer Epidemie oder einer Katastrophe?

Foto: Courtesy Loretta Fahrenholz

Wien - Bei Ulli Lommel zu Hause ist die Stimmung manchmal so ähnlich wie bei den Osbournes. Zwar sind die Kinder brav, und auch sonst sieht alles eher kleinbürgerlich-aufgeräumt aus, aber dem Papa ist doch deutlich anzusehen, dass er ein Veteran wilder Zeiten ist. In vielen Fassbinder-Filmen war er dabei, bei Kultklassikern wie Olivia - Im Blutrausch des Wahnsinns hat er selbst Regie geführt. Im Video My Throat, My Air der Künstlerin Loretta Fahrenholz ist Lommel nun wieder Darsteller, und eben nicht nur er, sondern auch seine Lebenswelt, und seine Familie.

Eine fragmentierte Geschichte, die sich hauptsächlich zu Assoziationen zusammensetzt: Lommel wird von einer Frau mit fremdem Akzent und Uniformkappe "durch Angorawölkchen" in eine Dimension eskamotiert, aus der er als Hausmädchen (Mrs. Doubtfire? Der Nanny kam ja erst später) zurückkehrt. Fahrenholz bezieht sich mit ihrer Arbeit auf populäres Kino, aber auch auf eher unbekanntes Fassbinder-Material (das Hörspiel Keiner ist böse und keiner ist gut - Ein Versuch über Science-Fiction). So entsteht eine jener audiovisuellen Meta-Arbeiten, in denen die Kunst sich mit kulturellem Material beschäftigt, das gleichsam von vielen verschiedenen Seiten besehen wird, während sich zugleich neue, komplexere (modernere) erzählerische Konstruktionen entwickeln.

Das Mumok-Kino zeigt My Throat, My Air zusammen mit Ditch Plains, einer deutlich höher zielenden Arbeit von Loretta Fahrenholz. In beiden Fällen wird die persönliche Anwesenheit der Künstlerin von Nutzen sein, denn ihre Arbeiten sind äußerst voraussetzungsreich und im selben Maß offen für Interpretation. In Ditch Plains geht es um eine avancierte Sichtweise auf ein globales Idiom, das mit dem Stichwort Hip-Hop unzureichend erfasst wird.

Der Film beginnt mit Aufnahmen von "bodies", die im öffentlichen Raum verstreut sind. Opfer eine Epidemie, einer Katastrophe, eines ungeahnten Vorfalls? Das bleibt in der Schwebe, auch wenn die Desastererfahrung des Hurrikans Sandy in vielen Texten auftaucht. Fahrenholz folgt in Ditch Plains vorwiegend Protagonisten der New Yorker Ringmaster Crew durch urbane Landschaften, die einen vage postapokalyptischen oder zumindest posthumanen Eindruck machen. Die Leute von der Ringmaster Crew haben den Breakdance auf eine neue Ebene gebracht: Sie sind Contortionists par excellence, akrobatische Verrenker, die ihre Körper zu Symptomszenen einer namenlosen Gefahr werden lassen.

Vom Fernsehen erzogen

Fahrenholz verbindet diese visionäre Zusammenschau popkultureller Großformationen mit einem postkinematografischen Motiv, indem sie auf die "Pionierarbeit" von Computerspieldesignern wie denen von Grand Theft Auto anspielt. Dort ordnen sich die Räume neu als Chase- und Abschusszonen, Räume, die von der Ringmaster Crew durchkreuzt werden. Die Gelegenheit, ihre Arbeit mit einer anderen Position in Beziehung zu setzen, hat Fahrenholz auch genützt. Sie zeigt Leslie Thorntons Peggie and Fred in Hell: The Prologue (1985), einen modernen Klassiker der Video-Art über zwei Kreaturen, die vom Fernsehen erzogen wurden ("raised on television"). Essenzieller Abend. (Bert Rebhandl, Spezial, DER STANDARD, 18./19.4.2015)