Viele Menschen haben das Gefühl, dass das politische System an ihren Bedürfnissen vorbeiregiert. Der Europäischen Union werden oft mangelnde Bürgernähe und Abgehobenheit nachgesagt, besonders wenn es um die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP, geht. Dabei ist es uns ein wichtiges Anliegen, auf die Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger einzugehen und diese im direkten Dialog anzusprechen. Ich sage das insbesondere vor dem Hintergrund des Aktionstages gegen TTIP, der heute, Samstag, stattfinden soll. Ich denke, dass wir im Dialog viele dieser Befürchtungen entkräften können.

Worum geht's?

Jeder soll die Möglichkeit haben, zu sehen und zu verstehen, worüber genau wir bei TTIP verhandeln. Deshalb lege ich sehr viel Wert auf Transparenz. In den letzten Monaten haben wir eine Reihe unserer TTIP-Textvorschläge, strategischen Positionspapiere und Faktenblätter ins Internet gestellt. Nächste Woche beginnt die neunte Verhandlungsrunde. Der aktuelle Verhandlungsstand kann auf unserer Website verfolgt werden. Ich appelliere an alle, diese Informationen zu nutzen und sich selber ein Bild zu machen, anstatt sich von Mythen fehlleiten zu lassen.

Bei TTIP geht es nicht darum, großen Unternehmen zu mehr Gewinnen zu verhelfen, sondern darum, Wachstum und wirtschaftliche Dynamik zu schaffen - zum Vorteil der Europäischen Union und ihrer Bürgerinnen und Bürger.

Handelsabkommen fördern das Exportgeschäft und erhöhen so auch die Beschäftigung - das ist sowohl in der wissenschaftlichen Theorie als auch in der Empirie, also unserer Erfahrung mit bereits abgeschlossenen Abkommen wie beispielsweise mit Südkorea, bestätigt. Nehmen wir zum Beispiel die österreichische Maschinenbauindustrie. Die Trumpf Maschinen Austria GmbH & Co KG in Oberösterreich erwartet sich klare Vorteile aus einem ehrgeizig verhandelten TTIP. Derzeit zahlt die Trumpf-Gruppe jedes Jahr rund sieben Millionen Euro an Zöllen an den amerikanischen Fiskus. Mittel, die besser investiert werden könnten, beispielsweise in Forschung und Entwicklung und damit auch in die Sicherung von Arbeitsplätzen.

TTIP würde durch die Kosteneinsparung bei Zöllen und bürokratischen Handelshemmnissen deutliche Wettbewerbsvorteile vor allem für die in Österreich so wichtigen Klein- und Mittelbetriebe schaffen. TTIP soll ein großes Abkommen für die Kleinen werden.

Schutz der Standards

Wir haben aber nicht nur wirtschaftliche Interessen im Blick, sondern auch den Schutz der Lebensmittel- und Produktsicherheit und die Qualität öffentlicher Dienstleistungen wie etwa der Gesundheitsfürsorge. Um es ganz klar zu sagen: Das Abkommen wird unsere Lebensmittelstandards und unsere Vorschriften über Hormonfleisch und gentechnisch veränderte Organismen in keiner Weise beeinflussen.

Hohe Qualität

Eine Lockerung staatlicher Schutzmechanismen steht bei TTIP nicht zur Debatte, ganz im Gegenteil: Wir setzen in den sorgsam geführten Verhandlungen alles daran, sie aufrechtzuerhalten und ihre Wirksamkeit noch zu erhöhen. Das habe ich auch in meiner gemeinsamen Erklärung mit US-Botschafter Michael Froman eindeutig bestätigt: EU-US-Handelsabkommen beeinträchtigen die Möglichkeiten von Staaten nicht, entsprechende Vorschriften einzuführen oder beizubehalten, mit denen die hohe Qualität der Dienstleistungen gewährleistet und wichtige Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses wie Gesundheitsschutz, öffentliche Sicherheit und öffentliche Bildung geschützt werden sollen.

Das heikelste Thema, bei dem die EU noch zu einer gemeinsamen Haltung finden muss, ist das Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat (Investitionsschiedsverfahren). Die Kommission ist derzeit in enger Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament über die Gestaltung eines modernen Investitionsschutzes. Die Kommission plant, dazu bald einen Vorschlag vorzulegen, der die oftmals geäußerten Sorgen in Verfahrensfragen und der inhaltlichen Gestaltung berücksichtigen wird.

Umsichtiges Vorgehen

Ein umsichtiges Vorgehen in diesem Punkt sollte uns jedoch nicht in unserer allgemeinen Zielsetzung bremsen. Viele scheinen zu glauben, dass TTIP Europa schwächen wird, doch tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Aufstrebende Volkswirtschaften wie China und Brasilien mindern Europas wirtschaftlichen Einfluss in der Welt. Mithilfe von TTIP können wir europäische Standards und Werte schützen. TTIP stärkt unseren Zusammenhalt und eröffnet uns neue Möglichkeiten, die Zukunft aktiv mitzugestalten.

Denn trotz aller Unterschiede haben die EU und die USA viele gemeinsame Werte: Demokratie, offene Märkte, Rechtsstaatlichkeit und Achtung des Individuums - Werte, von denen wir möchten, dass sie sich in den Regeln, die unser internationales System bestimmen, widerspiegeln. Dieses Ziel können Europa und die USA nur gemeinsam erreichen. Und es ist im Umkehrschluss genau dieses Ziel, warum wir auch in Zukunft "Tu Felix Austria" sagen werden können. (Cecilia Malmström, DER STANDARD, 18.4.2015)