Innerhalb weniger Jahre hat die Europäische Union ein komplexes System von Mechanismen und Instrumentarien geschaffen, um ihre Anliegen und Interessen im Bereich der inneren Sicherheit gekonnt und konsequent zu externalisieren. Outsourcing und Offshoring dominieren eine zunehmend repressive Grenz- und Migrationspolitik. Aktuelle Forderungen nach Lagern in Nordafrika rufen Erinnerungen an Europas Kooperation mit Libyen unter Gaddafi wach.

Ähnlich einem mittelalterlichen Burgherrn errichtet die EU in ihrem Vorfeld eine Art Cordon sanitaire - einen vorgelagerten Sicherheitsgürtel jenseits ihrer Außengrenzen, der eine besondere Art der Zusammenarbeit mit Drittländern etabliert.

Im Kern geht es dabei darum, nichteuropäischen Ländern die Hauptlast bei der Überwachung der EU-Außengrenzen aufzubürden - etwa im Rahmen ebenso undurchsichtiger wie asymmetrischer Vereinbarungen. Kontrollen und Zurückweisungen finden demnach nicht nur auf dem Territorium der EU-Mitgliedsstaaten, sondern durch diese Kooperationen auch schon auf Territorien von Drittstaaten statt. Mit dieser Verschiebung der Grenzkontrollen und weiteren Maßnahmen der Abschottung gegenüber unerwünschten Personengruppen, die auf den Territorien von Drittstaaten verbleiben müssen, vermeidet die EU Menschenrechtsverletzungen auf eigenem Boden. Dieses Überwälzen von Problemlösungen wird sukzessive auf weitere "sicherheitsrelevante" bzw. "sensible" Politikbereiche ausgeweitet.

Im Wesentlichen besteht diese "Externalisierung" in einem flexiblen Abwehrmechanismus, der auf immer weiter von den EU-Grenzen entfernte Gebiete ausgedehnt wird. Zentrale Elemente dieses Konzepts sind einerseits die Auslagerung von Aufgaben (etwa der Grenzkontrollen), andererseits die Etablierung gewollter einschlägiger Rechts- und Verwaltungsstrukturen in den betreffenden Ländern.

Lagerkonzept

Zentrales Element in diesem Prozess der Externalisierung ist das sogenannte Lagerkonzept: "Lager", "Internierungslager, "detention centers" oder "Auffanglager" sind eine immer häufiger genutzte Maßnahme, um internationale Migranten an der Einreise in die EU zu hindern oder zurückgeschobene Migranten darin zu internieren. So verwundert es keineswegs, dass als Antwort auf die aktuelle Flüchtlingstragödie im Mittelmeer fast reflexartig die Einrichtung von Lagern (möglichst weit im Vorfeld der eigentlichen EU-Außengrenzen) gefordert wird. Österreich ist übrigens ein vehementer Verfechter dieses Konzepts: zuletzt wieder beim Treffen der EU Justiz- und Innenminister im März dieses Jahres. Diese Forderung steht dabei in einer langen Tradition: Bereits 2006 ist die damalige Innenministerin Prokop mit einem diffusen "Lagerkonzept" in die österreichische EU-Ratspräsidentschaft gegangen.

Die aktuellen Bilder von Europas Südgrenze sind keineswegs neu. Sie erinnern frappant an das Jahr 2008. Bereits damals verzeichnete Lampedusa mit weit mehr als 30.000 Flüchtlingen einen bis dahin unbekannten Ansturm durch Asylwerber und Arbeitssuchende aus Nordafrika. Bereits damals setzte man auf das Konzept der Externalisierung: eine enge Zusammenarbeit mit Libyen (unter Gaddafi), inklusive eines neuen Rückübernahmeabkommens und gemeinsamer Kontrollen im Mittelmeerraum. Kritiker warnten zwar vor dieser Kooperation, sie war jedoch umgehend erfolgreich und zeigte Wirkung: Die Anzahl der Migranten, die es schafften, an Italiens Küste anzukommen, reduzierte sich um 90 Prozent - solange es Gaddafi passte.

Diese Entwicklung war unzweifelhaft mit der Kooperation mit Libyen zu erklären. Es wurde nämlich einfach die Kontrolle der Grenzen Libyens "forciert". Libyen leistete im Gegenzug zu finanziellen Leistungen "gute" Arbeit in Bezug auf die Reduzierung der "Migrationslast" für die EU und ihre Mitgliedsstaaten. Neben der Verhinderung von irregulärer Einreise und Ausreise ließ Gaddafi zahlreiche irreguläre Migranten inhaftieren oder deportierte diese an zumeist willkürliche Orte. Tripolis' finanzielle Vorstellungen der zu leistenden Finanzmittel überstiegen zwar jene der Europäischen Kommission um vieles, waren aber kein wirkliches Hindernis. Dies alles beeinträchtige nicht die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem früheren "Schurkenstaat" Libyen und der Soft-Power-Weltmacht und allzeit menschenrechtsbedenkenden Europäischen Union.

Wohlwollender Hegemon

Als Konsequenz dieser Politik verwischen sich die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit zunehmend. Gleichzeitig wächst die Bedeutung der externen Dimension interner Sicherheit. Der Externalisierungsansatz wird dabei zu einem allgemein einsetzbaren und flexiblen Abwehrmechanismus, der auf immer weiter entfernte Gebiete ausgedehnt wird. Im Rahmen dieser Entwicklung verwandelt sich schlussendlich die bisher als wohlwollender Hegemon agierende Führungsmacht EU zunehmend zu einem ziel- und zweckorientiert agierenden imperialen Akteur. Nächster "logischer" Schritt: gezielte räumliche (und zeitliche) Interventionen in Nachbarstaaten. Als erster Kandidat bietet sich Libyen an. (Stefan Brocza, DER STANDARD, 21.4.2015)