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Studien spiegeln nicht zwangsläufig die Realität wieder. Komplexe Themen erfordern detaillierte Fragestellungen.

Foto: Stefan Kugler / dpa

Dieser Blog widmet sich der Arbeit mit Männern, die Gewalt in der Partnerschaft ausüben. Häufig, wenn diese Perspektive auf männliche Täterschaft eingenommen wird, folgen Hinweise auf eine "Gendersymmetrie bei Gewalt in Partnerschaften" auf dem Fuß. Demnach seien Frauen und Männer zu gleichen Teilen von häuslicher Gewalt betroffen. Und tatsächlich: Es gibt einige Prävalenzstudien, die zeigen, dass die Anteile von Männern und Frauen, die Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen erleben, auf den ersten Blick annähernd gleich hoch sind.

Wonach fragen Studien? Wonach sollten sie fragen?

Aber was bilden Studien ab, in denen Gewalt zwischen den Geschlechtern gleich verteilt erscheint? Welche Schlüsse sind aus den Ergebnissen zu ziehen?

Oft erheben diese Studien Gewalterfahrungen, ohne nach Schweregrad, Häufigkeit und Folgen der Gewalt zu gewichten. "Anschreien" oder "kontrollieren" als psychischer Gewaltakt werden auf Ebene der Datenanalyse gleich gewichtet wie systematische Gewalthandlungen mit schwersten Verletzungen. Egal, wie selten oder häufig. Auch wird der Kontext der Gewalthandlungen außer Acht gelassen: Wie ist die Machtverteilung in der Paarbeziehung, der Grad der Furcht? War es Angriff oder Verteidigung? Gegenwehr bei gewalttätigen Übergriffen kann als Gewalthandlung in Erscheinung treten. Erst wenige Studien haben sich bisher im Detail mit der Frage beschäftigt: "Wer tut wem was an?"

Wenn Kontext, Schwere, Dauer und Folgen der Gewalt systematisch erfasst werden, bilden Aussagen zu Partnerschaftsgewalt die Komplexität des Phänomens besser ab. Detaillierte Analysen zeigen, dass Frauen in höherem Maße als Männer bedrohlichen, schweren und häufigen Übergriffen in heterosexuellen Paarbeziehungen ausgesetzt sind. Das betrifft sowohl psychische als auch sexualisierte und körperliche Gewalt. Männer treten umso häufiger als Täter in Erscheinung, je schwerer, häufiger und folgenreicher die (körperliche, sexualisierte, psychische) Gewalt in der Beziehung ist. In offiziellen Statistiken von Behörden (Polizei, Gerichte) und den Daten von Opferbetreuungsstellen wird dies auch klar sichtbar. Eine andere Verteilung mit höheren Anteilen von Frauen als Täterinnen oder wechselseitiger Gewalt kann bei leichteren Formen von Gewalt vorliegen. Diese Fälle werden seltener institutionell auffällig und werden eher durch Prävalenzstudien entdeckt.

Hilfestellung für alle Betroffenen

Jede gewaltbetroffene Person benötigt unabhängig von seinem/ihrem Geschlecht Unterstützung und eine fachlich adäquate Herangehensweise. Es ist notwendig, auch für die Gruppe gewaltbetroffener Männer adäquate Hilfestellungen anzubieten. In Bezug auf den sozialen Nahraum gilt dies auch für Gewalterfahrungen, durch die Vorstellungen und Bilder von Männlichkeit brüchig werden, beispielsweise im Falle sexualisierter Gewalthandlungen durch weibliche Täterinnen. Oder für Söhne, die von Vätern oder Müttern geschlagen werden bzw. Gewalt miterleben. Im Hinblick auf bestehende Geschlechterverhältnisse in unserer Gesellschaft ist es aber unabdingbar, Meta-Ebene und Fall-Ebene zu differenzieren.

Wer tut wem was an?

Vorläufig bleibt festzuhalten: Ja, die meisten Gewalttaten werden von Männern begangen. Das heißt aber nicht, dass die meisten Männer Gewalttaten begehen. Dies ist ein häufiges Missverständnis in der Diskussion um Gewalt. Ja, auch Männer werden Opfer von Gewalt. Aber gerade ideologisch gefärbte Diskussionen, die Männer und Frauen gegeneinander ausspielen, verdecken ein zentrales Faktum: Männer werden vor allem Opfer anderer Männer. Genauer gesagt: Männer werden insgesamt häufiger Opfer von körperlicher Gewalt, wobei diese meist von anderen Männern und im öffentlichen Raum ausgeübt wird. Auch deshalb sollten Männer (als potentiell Betroffene) ein Interesse haben, bestehende Geschlechterverhältnisse - innerhalb und zwischen den Geschlechtergruppen - zu ändern und gegen Gewalt einzustehen! Gewalt ist eine Menschenrechtsverletzung, die alle Mitglieder unserer Gesellschaft etwas angeht. (Michael M. Kurzmann, dieStandard.at, 22.4.2015)