Warum sind kleine Interessengruppen in Demokratien so mächtig? Auf diese Frage gab der US-Ökonom Mancur Olson in seinem Buch "Die Logik des kollektiven Handels" 1965 eine Antwort, die bis heute überzeugt: Die Vertretung von Interessen ist ein sogenanntes kollektives Gut, von dem auch der profitiert, der nichts dazu beiträgt. Je kleiner die Gruppe und je konzentrierter der Nutzen der Lobbytätigkeit, desto leichter kann von jedem ein Beitrag abgerungen und Trittbrettfahrertum vermieden werden. Deshalb können etwa relativ kleine Industriegruppen oft Schutzzölle gegen billigere ausländische Konkurrenz durchsetzen, auch wenn die Masse der Konsumenten dabei draufzahlt. Solche "umverteilende Koalitionen", wie Olson Lobbys nannte, würden zugunsten der eigenen Klientel und zum Schaden der Gemeinschaft handeln.

In einem weiteren Buch "Aufstieg und Niedergang von Nationen" nutzte Olson 1982 sein Modell, um unterschiedliche Wachstumsraten verschiedener Industriestaaten zu erklären. Je stärker die Interessenverbände, desto mehr stehen in der Wirtschaftspolitik Sonderinteressen statt des Gemeinwohls im Mittelpunkt. Revolutionen und Kriege seien daher oft von Vorteil für Länder, weil sie die bestehende Ordnung durcheinanderwirbelten, schrieb Olson mit Blick auf Deutschland und Japan, die damals boomten, während Großbritannien stagnierte.

"Umfassende" Organisationen

Aber wie lässt sich der Erfolg von Ländern wie Schweden, Norwegen oder Österreich erklären, wo sowohl die Gewerkschaften als auch die Industrieverbände so stark sind? Angesichts dieses Widerspruchs stellte Olson seine eigene Theorie auf den Kopf: Wird ein Land von "umfassenden Organisationen" dominiert, die einen großen Teil der Bevölkerung oder der der Wirtschaft vertreten, dann werden diese das Gesamtinteresse eines Landes im Auge behalten.

Olson, der 1998 starb, hat damit eine theoretische Erklärung für den Erfolg der österreichischen Sozialpartnerschaft geliefert. Aber gleichzeitig warnte er: Umfassende Dachorganisationen seien nicht immer stark genug, um Sonderinteressen in den eigenen Reihen im Zaum zu halten. Und wenn sie sich in eine falsche Richtung bewegten, fehlten die Gegenkräfte, um dies zu korrigieren. (Eric Frey, DER STANDARD, 25.4.2015)