Sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Vernichtungskriegs, in den Hitlers Größenwahnsinn die Welt gestürzt hat, werfen die Spuren der sieben Jahre lang währenden Nazi-Gewaltherrschaft in Österreich immer noch ihre Schatten auf die Zweite Republik. Es dauerte 67 Jahre, bis 2012, bis der 8. Mai 1945 von der Regierung des SPÖ-Kanzlers Werner Faymann mit Zustimmung des ÖVP-Vizekanzlers Michael Spindelegger als Tag der Befreiung anerkannt wurde.

Die jährliche Kranzniederlegung der deutschnationalen Burschenschaften am 8. Mai am Heldentor zum "Totengedenken der Helden der Wehrmacht" und zur "Trauer über die Niederlage" konnte erst vor zwei Jahren abgeschafft werden. Verteidigungsminister Gerald Klug verordnete für den 8. Mai eine ganztägige Mahnwache am Heldentor an, im Andenken an die "Opfer der Nazi-Barbarei". Um den 8. Mai jetzt auch als "Tag der Freude" feiern zu können und die Burschenschaften vom Heldenplatz zu entfernen, findet dort am Abend ein jährliches feierliches Konzert der Wiener Symphoniker statt.

Doch die Burschenschaften und der Wiener Korporationsring, in denen rund 4000 Männer eingetragen sind, geben nicht auf. Ihr jährlicher "Akademikerball" findet unter der Schirmherrschaft von H.-C. Strache in der Hofburg statt. Hunderte Polizisten schützen die Ankunft der vielen Ballgäste gegen Protestdemonstrationen.

Die Wurzeln der bis heute noch nicht genügend gründlichen Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit Österreichs führen zurück auf die Moskauer Erklärung der drei führenden alliierten Mächte vom 1. November 1943. Am Ende einer zwölftägigen Konferenz über die Endziele des Krieges veröffentlichen der britische, der sowjetische und der amerikanische Außenminister, Eden, Molotow und Hull, die folgenden Beschlüsse betreffend Österreich:

Moskauer Deklaration

"Der ,Anschluss' Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 ist ungültig. Es besteht die Absicht, nach dem Zweiten Weltkrieg den souveränen Staat Österreich wiederherzustellen."

"Die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sind einer Meinung, dass Österreich das erste freie Land war, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer gefallen ist und von deutscher Herrschaft befreit werden soll."

Viele österreichische Politiker haben diesen Teil der Moskauer Erklärung als Beleg für Österreichs Opfermythos herangezogen. Es war eine sehr selektive Interpretation, die den zweiten Teil der Moskauer Erklärung nicht wahrnehmen wollte. Die alliierten Mächte erklärten nämlich auch ausdrücklich: "Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann. Bei der endgültigen Abrechnung mit Österreich, wird die Bedachtnahme darauf, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen hat, unvermeidlich sein."

Hier verknüpften Großbritannien, Sowjetunion und USA Österreichs zukünftige Behandlung explizit mit den Aktivitäten des österreichischen Widerstands, die nicht überragend waren.

Die alliierten Mächte erwarteten anscheinend, dass infolge der Moskauer Erklärung tausende österreichische Soldaten desertieren würden, um im Widerstand zu kämpfen. Ihre Kenntnisse der österreichischen Mentalität waren unzulänglich. Man hat bis zum Ende Juden ermordet, obwohl der Krieg längst verloren war. Stichwort: Rechnitz in Burgenland.

Man darf nicht vergessen, dass über ein Drittel der 60.000 SS-Einsatztruppen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Österreicher waren, obwohl deren Anteil an der Bevölkerung des Dritten Reichs nur zehn Prozent war.

Kreisky schrieb in seinen Memoiren: "Wie kann man ein Land regieren, in dem die Hälfte der Bevölkerung aktive Nazis oder Mitläufer waren?" Es musste über 40 Jahre nach Ende des Krieges dauern, bis Österreich 1986, infolge der Waldheim-Affäre, begonnen hat, sich mit seiner Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Zweifellos hat der allzu leichte Übergang vom Austrofaschismus zum Nationalsozialismus zur langen Verdrängung beigetragen.

Es gibt aber auch Fortschritte: Am 11. November 1997, sechs Jahrzehnte nach den November-Pogromen, in denen sämtliche jüdische Synagogen in Deutschland und Österreich verbrannt und zerstört wurden, hat der Nationalrat den Beschluss gefasst, den 5. Mai als "Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus" zu bezeichnen. Es ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, im Andenken an die Opfer der Nazi-Gewaltherrschaft.

Tag der Befreiung

Der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker erklärte im Bundestag am 8. Mai 1985, 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: "Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen."

Ebenso darf Österreich den 8. Mai 1945 nicht vom 12. Februar 1934 trennen. (Ari Rath, DER STANDARD, 25.4.2015)