.Prachtstraße gewordener Wille des Kaisers Franz Joseph I.: "Bauts mir was für die G'stopften im Stilmix des Historismus, spätestens 2001 muss das alles Weltkulturerbe sein!"

Foto: Christian Fischer
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Prachtgärten, Prachtbauten, Prachtblicke: Manfred Rebhandl imaginiert einen Dackel und philosophiert über den Ring

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Der Wastl aber schaut nie zurück, sondern richtet seinen Blick lieber nach vorn in Richtung Universitätsring, wo das Hauptgebäude der gütigen Mutter steht.

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"Es ist mein Wille", schrieb Kaiser Franz Joseph I. am 25. Dezember 1857 auf Seite 1 der Wiener Zeitung, "dass die Ringstraße gebaut werden möge. Bauts mir was für die G'stopften im Stilmix des Historismus, spätestens 2001 muss das alles Weltkulturerbe sein!"

So fassen wir ein wenig salopp zusammen, was dem Kaiser damals ungefähr vorgeschwebt haben muss, nachdem 1850 ein paar Vorstädte eingemeindet wurden, welche fortan die Bezirke II bis VIII der Stadt Wien bildeten. Die Befestigungsanlage rund um den Stadtkern stellte nun ein beträchtliches Verkehrshindernis dar, das geschleift werden musste. Das vorgelagerte parkähnliche Glacis aber wurde als Erholungsraum geschätzt und sollte erhalten bleiben.

Um nicht alleine um den Ring wandern zu müssen, lege ich mir einen imaginären kleinen Dackel namens Wastl zu, in der Stadt Sigmund Freuds muss so etwas möglich sein. Der Wastl fragt gleich, wo denn überhaupt der Ring ist, der ja nicht kreisrund angelegt wurde, sondern in langen Schussstrecken, damit man notfalls den Pöbel aus den Vorstädten erschießen konnte. Die Revolution von 1848 steckte den Habsburgern noch tief in den Knochen, als man das Projekt ein paar Jahre später startete.

Da schaut der Wastl böse

Dort, wo früher der J-Wagen in Richtung Ottakring abbog, starten der Wastl und ich unsere Wanderung im Uhrzeigersinn. Er liebt ja flämische Gotik über alles, also betrachten wir gleich ehrfürchtig den phallischen Turm des gewaltig dimensionierten Wiener Rathauses links der Ringstraße und wundern uns nicht, dass dort 1550 Räume untergebracht sind. Ursprünglich sollte der Bau ja drüben beim Stadtpark angesiedelt werden, doch weil der damalige Bürgermeister Felder angeblich zu faul war, um den langen Weg vom Achten hinüber zum Parkring zurückzulegen, stellte Friedrich Schmid, ein Deutscher, ihn auf den ehemaligen Exerzier- und Paradeplatz.

In diesen Tagen brüstet sich der Bürgermeister, dass er härter arbeiten würde als drei Lehrerinnen für Handarbeit und Musik zusammen. Aber egal, wer dieses Match gewinnen wird: Unter den Arbeitsbedingungen der Ziegelböhmen, die damals im Zuge des Ringstraßenbaus draußen am Wienerberg ausgebeutet wurden, leidet keiner mehr von ihnen. Indirekt waren die Arbeiter, die den Bürgerboulevard bauten, dafür verantwortlich, dass der Bürgermeister nun an jedem 1. Mai Nelken tragen darf, ein Wiener Arzt namens Victor Adler setzte damals für sie erste Arbeitnehmerrechte durch, der Rest ist Geschichte.

Leider sind dann irgendwann in die SPÖ-Zentrale gegenüber vom Rathaus Spindoktoren eingezogen und haben alles wieder versaut. Da schaut der Wastl böse, und wir gehen zum Burgtheater.

Du meine Güte, die Burg! Größtes deutschsprachiges Theater, Neubarock, wiedereröffnet 1955, selbstverständlich mit Grillparzer. Die Schauspieler heißen hier Burgschauspieler, sitzen im Café Eiles herum oder spielen sich durchs Zweite Deutsche Fernsehen. Der Wastl hört gar nicht gerne, dass hier mal Pferdeknödel abgeladen wurden. Ich erzähle ihm, wie großartig das damals war, als sich ein ganzes Land aufgepudelt hat, wie der alte Dichand fast durchgedreht ist und jeder ein Nestbeschmutzer war, der sich abends nicht in seine Kronen Zeitung eingewickelt hat.

Herrlich war das mit den ganzen alten und neuen Nazis im Land, ein bisserl zum Fürchten vielleicht auch. Aber seit der Peymann weg ist und der Bernhard tot, seit nur noch Textflächen produziert werden, worüber sich der alte Peymann nun zu Hause in Berlin schwach aufregt, schlafen einem auch hier nur noch die Füße ein. Damals, sag ich zum Wastl, gab es noch kein Facebook, sondern Leserbriefe, und der Muliar hat auch noch gelebt und sich furchtbar aufgeregt.

Wir flüchten weiter zur Börse

Der Wastl aber schaut nie zurück, sondern richtet seinen Blick lieber nach vorn in Richtung Universitätsring, wo das Hauptgebäude der gütigen Mutter steht, auch links der 57 Meter breiten Straße, italienische Hochrenaissance. Ursprünglich hatte man die Universität hinter der Votivkirche verstecken wollen, und wegen mir, erzähle ich dem Wastl kleinlaut, hätten sie den Plan nicht ändern müssen. Zu mehr als einer Stunde kleines Latinum hat es letztlich nicht gereicht, immerhin weiß ich heute, dass mein Wastl ein Canis ist und kein Rana. Beschämt gehe ich weiter und zeige ihm die Buchhandlung Kuppitsch, die rechts vom Ring in die Schottengasse abbiegt und in der während meiner Studentenzeit, die ich in der Folge beim Herrn Josef im Café Votivpark in der Kolingasse parallel zum Ring verbracht habe, mehr Bücher gestohlen wurden, als Amazon je verkaufen kann. Das war die Zeit damals, als jeder mit einer Suhrkamp-Gesamtausgabe Thomas Bernhard in der Arschtasche seiner Jeans herumlief.

Der Ring heißt nun Schottenring, und beim Gebäude der LPD schlägt der Wastl kurz an, weil er ja auch gerne Polizisten beißt, aber das erlaube ich ihm nicht. Weiter vorne liegt nämlich das Österreichisch-Arabische Kulturzentrum, und dort werde ich kurz pädagogisch: Ich erzähle ihm, was in anderen Ländern passiert, wenn man das tut oder noch schlimmer: seine Meinung frei äußerlt. Da beruhigt es ihn nur wenig, dass heute nicht Freitag ist.

Er zieht den Kopf ein, und wir flüchten hinüber zur Börse. Die Regierungsform Schwarz-Blau, erzähle ich dem Wastl, wollte uns die Börse allgemein ja als Instrument einreden, das als dritte Säule unsere Pensionen sichern sollte. Herausgekommen ist, dass wir heute irgendwie alle Griechen sind, bis auf die, die uns das alles eingeredet haben. Wer damals den "Thomas Muster"-Fonds oder die EM.TV-Aktien der Brüder Haffa zeichnen musste, ernährt sich heute von Fensterkitt.

Abseits der Linsensuppe im Rexglasl

Der Wastl kriegt langsam Hunger, aber die Wiener Städtische Versicherung, der da weiter vorne am Donaukanal der halbe Ring gehört, bietet keine Würstel an, sondern auch wieder nur "Finanzprodukte". Den 1955 fertiggestellten Ringturm kennen wir als Helmut Zilks spätes Wohnzimmer. Während der heutige Bürgermeister noch hart an seiner Legende arbeitet, kann man vom weltmännischen Menschenfreund Zilk ruhigen Gewissens behaupten, dass er das Furzkissen Europas, die Schnarchstadt Wien, den Vorposten des Grenzüberganges Kleinhaugsdorf zu einer offenen, in Ansätzen wirklichen Weltstadt gemacht hat, der Herrgott hab ihn selig.

Als ich mit dem Wastl um die Ecke biege, heißt der Ring plötzlich Kai. Ein Ströck, ein Bipa und rechter Hand das Ausgehviertel um den Rudolfsplatz, welches der Bezirksvorsteherin schon Kopfweh bereitet, wenn sie an das ganze Gespiebene, das dort allmorgendlich auf den Gehsteigen herumliegt, nur denkt. Und apropos Gespiebenes: Der Morzinplatz, auf dem einst das Gebäude der Gestapo stand, liegt nun ein paar Meter weiter. Heute steht dort immerhin ein Denkmal für die Opfer der Gestapo auf einer Parkgarage, aber schön und würdig ist es nicht.

Dem Wastl hängt dann die Zunge heraus, als wir den Schwedenplatz erreichen. Hier trifft sich das kulinarische Wien abseits von Linsensuppe im Rexglasl und Nudeln bei Fabios. Es gibt Wurst, Zwiebel und Asiafood zu Rotwein aus dem Doppler. Hier isst das Auge nicht mit, dafür die Tauberln, die man nicht mehr füttern darf.

Der Wastl jagt ein paar von ihnen hinterher, als wir am Hotel Capricorno vorbeikommen, einer der vielen Bettenburgen am Ring und unter diesen jene, die auch in Chi?inau stehen könnte. Kinofreaks, Kasperlfans und Sternderlgucker werden vorne in der schönen Urania glücklich, wo rechter Hand am Georg-Coch-Platz von Otto Wagner die Österreichische Postsparkasse erbaut wurde. Heute wirkt das Innere, nun ja, kafkaesk mit dem Feuerlöscher, der direkt vor dem Privatfinanzierungsschalter in der riesigen Halle steht, falls etwas schiefgeht mit der Privatfinanzierung. Viele, nicht alle, sagen dem Gebäude nach, es wäre Jugendstil, was dem Kaiser als Ausgeburt des Modernismus galt. Darum liegt die Secession weiter vorne am Karlsplatz auch 300 Meter abseits vom Ring, Strafe muss sein.

Blade Runner Reloaded

Da passt es gut, dass ich mit dem Wastl langsam in die Gegend des Handelsgerichts komme, weiter vorne die Marxergasse links von Stubenring hinein und mittlerweile so etwas wie der Zweitwohnsitz des besten Finanzministers der Zweiten Republik nebst anderen Weggefährten des Schweigekanzlers.

Gegenüber vom Mak, wo wir an Noever und seine Mutter denken und an all die guten Sachen, die sie auf unsere Kosten gegessen haben, liegt das Café Prückel, wo zwar das Schmusen verboten ist, das Pudern aber erlaubt, jedenfalls, wenn es um die Naserln geht. Hier sitzt die Jeunesse des Bürgertums mit Pullover über dem gestärkten Hemd und trinkt Kakao. Wir empfehlen stattdessen das Café Korb inmitten der City.

Der Wastl wird langsam müde, also legen wir uns in den Stadtpark, der sich linker Hand an den Parkring schmiegt. Es ist gut, dass hier nicht das Rathaus steht. Wir singen ein Lob auf die Faulheit des damaligen Bürgermeisters und schlagen uns auf die Seite der Bettler, Zeitungsverkäufer und Sandler, an denen sich die Stadt seit Jahren auf armselige Weise abarbeitet, während sie sogenannten Investoren öffentlichen Raum beim Eislaufverein nachschmeißt.

Der alte Zilk hätte den Sandlern ein Zelt hingestellt und ihnen jeden Abend eine Burenhaut spendiert, man fragt sich: Wo ist die Lockerheit geblieben? Die Solidarität? Wo das Rote Wien? Der Wastl schämt sich in den Boden hinein.

Wir hüpfen ins Gartenbaukino hinunter, 1919 errichtet im Ausstellungsraum der k. u. k. Gartenbaugesellschaft vor dem Palais Coburg. Im Saal mit den 736 Plätzen und 383 Glühbirnen schauen wir uns auf der Riesenleinwand Blade Runner Reloaded an.

Zivilgesellschaft am Heldentor

Wir latschen am Schubertring dahin in Richtung Hotel Bristol am Kärntner Ring, wo früher, als er noch lebte, der alte Dichand in der Bar saß und - Gerücht! - seine Nasenringe an alle verteilte, die sich von ihm - Gerücht! - daran herumführen lassen wollten. Das waren - Gerücht! - alle in unserem schönen Land bis auf den Schweigekanzler, was uns zu der schönen Erkenntnis führt, dass kein Mensch nur schlecht ist.

Gegenüber vom Bristol stehen Japaner mit ihren Gesichtsmasken herum, da muss also die Oper sein, und tatsächlich! Was die Oper als Kunstform betrifft, habe ich mich bei den Simpsons schlaugemacht, bereits in S01E02 wird Bart überraschend ein Genie, und die ganze Familie schaut sich Carmen an: Da hört die Fette nie auf zu singen, und als sie endlich doch aufhört, kommt der Fette an die Reihe und singt, während Homer und Bart nicht mehr wissen, wohin mit den Füßen. Dagegen hilft dann nur Achselfurzen. Was die heute weltberühmte Staatsoper als Gebäude (Neorenaissance) anbelangt, war sie zu ihrer Eröffnung kein Hit, man nannte sie "Königgrätz der Baukunst".

Mitarchitekt van der Nüll erhängte sich deswegen, kriegte aber später immerhin eine Straße im wenig mondänen zehnten Bezirk nach ihm benannt. Mit Wehmut erzähle ich dem Wastl von den Opernballdemos ab den späten 80er-Jahren, als doch noch die Revolution in Kleinform zum Bürgerboulevard hereinkam und die Kleinformatigen in den Wahnsinn trieb. Vom Opernball hingegen ist der Wastl kein Fan, der hat seiner Meinung nach jeden Schick verloren.

Der Wastl läuft nun davon in Richtung Burggarten, den sich das Volk mit seinen Hunden als öffentlichen Raum zurückerobert hat mit Didgeridoo- und Bongoklängen und bewusstseinserweiternden Substanzen. In den frühen Morgenstunden sieht es hier manchmal so aus, als hätte Neapel eine seiner Mülldeponien hierherverlegt, aber wenigstens gehört der Garten noch uns allen.

"Wastl?" Er ist verschwunden, und es macht mir gar nichts aus, denn eigentlich mag ich keine Hunde. Das Goethedenkmal am Opernring betrachte ich alleine, es steht nur da, damit man die Kurve in Richtung Filmmuseum hinter der Albertina, Wiens wichtigster Kultureinrichtung, doch noch kriegt, falls man sie weiter vorne übersehen hat.

Ich gehe ins Kunsthistorische Museum (italienische Renaissance), links am Burgring gelegen, dort hängen Werke an den Wänden und im Depot, die halb Griechenland entschulden könnten, wenn man sie denn verkaufen würde. Das Naturhistorische Museum daneben ist für Jungeltern unverzichtbar an verregneten Novembertagen, wenn zu Hause gar nichts mehr geht mit den Gschrappen, über die dicke, selbstverständlich weltberühmte Venus von Willendorf können alle herzhaft lachen, und bei 7000 Meteoriten, die da drinnen herumliegen, fragt man sich, warum man nie von einem getroffen wurde.

Das Ende der Wanderung

Ab 23. Jänner 1993 hießen gute Menschen im Land plötzlich Gutmenschen und waren schlecht, jedenfalls aus Sicht jener Freiheitlichen, die zuvor ein Volksbegehren gegen Ausländer initiiert hatten. Österreichs Zivilgesellschaft, die sich selten zeigt, sammelte sich am Heldentor (Quadertechnik) und zeigte der Welt das Gesicht eines Österreich abseits von Ausländerhetze und Nazidreck. Die schwarz-blaue Regierung Jahre später konnte das Lichtermeer aber nicht verhindern, worüber vielleicht jene ihrer Mitglieder, die heute im Gefängnis sitzen oder knapp davorstehen, selbst am unglücklichsten sind. Am Dr.-Karl-Renner-Ring schließlich liegt, Ende der Wanderung, unser Parlament mit seinen griechischen Säulen außen und den unfähigen, nichtsnutzigen, in Privilegien badenden Provinzhansln, als die wir unsere Volksvertreter gerne sehen, drinnen. Danke, dass wir euch haben! Ein paar Jahre noch sollt ihr der vollständigen Trivialisierung unseres Lebens trotzen, bevor wir unsere gute alte Demokratie durch eine App ersetzen müssen, entwickelt von Neuburger-Leberkäse und gesponsert von Weinhaus Sittl. (Manfred Rebhandl, DER STANDARD, 1.4.2015)