Jedes Ereignis hat seine Chronisten: Die unstreitig beste und reichhaltigste malerische Dokumentation der Reformationszeit und ihrer Protagonisten verdankt die Welt Lucas Cranach dem Älteren (1472-1553) und Jüngeren (1515- 1586). Cranach Vater, Hofkünstler der ernestinischen Kurfürsten von Sachsen und enger Freund Martin Luthers, war nicht nur dessen emsiger Porträtist. Er engagierte sich auch als einflussreicher Mitstreiter im propagandistischen Kampf gegen Rom, zu dem er eine Fülle derber und galliger Flugblätter beisteuerte. Diese waren damals eine Mediennovität wie Facebook und Twitter heute.

Die Wartburg zu Eisenach als Cranach-Ausstellungsort: Hier fand der für vogelfrei erklärte Martin Luther als Junker Jörg Unterschlupf.
Foto: Wartburg Stiftung Eisenach

Aus Anlass des 500. Geburtstags von Cranach dem Jüngeren hat das Bundesland Thüringen ein Themenjahr ausgerufen, an dem sich mehrere Städte und Institutionen beteiligen. Auf der Wartburg Eisenach, wo Luther nach dem Wormser Reichstag inkognito als "Junker Jörg" Unterschlupf gefunden hatte und mit Hochdruck an seiner Bibelübersetzung arbeitete, sind Luther-Bildnisse der Cranach-Werkstatt zu sehen, die den Reformator in verschiedenen Lebensphasen zeigen. Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha im Herzoglichen Museum demonstriert "Cranach im Dienst von Hof und Reformation". Das Schiller-Museum und die Herder-Kirche in Weimar präsentieren Exponate aus den Beständen der Stadt, welche durch berühmte nationale und internationale Leihgaben ergänzt werden.

Jede Ausstellung ist für sich genommen sehenswert, gemeinsam bieten sie ein faszinierendes Panorama über den künstlerischen Output und die Funktionsweise der Werkstätte und deren Verflechtung mit der turbulenten Frühneuzeit: Der geschäftstüchtige ältere Cranach setzte auf eine modern anmutende Qualitäts- und Markenpolitik, die die Wiedererkennbarkeit und Zuordenbarkeit seiner "Produkte" verbürgte.

Die Cranach-Galerie im Stadtschloss Weimar
Foto: Ralph Kallenbach/weimar GmbH

Als Nebenerwerbsapotheker konnte er sich Zugang zu Farbmaterial mit besonders leuchtenden Qualitäten verschaffen. Gleichbleibende Motivmodule, die sich in verschiedene Bilder einsetzen ließen, sorgten dafür, dass das Malen schnell von der Hand ging. Das Markenzeichen der Cranachs, die geflügelte Schlange, war sensationell erfolgreich.

Geistiges Epizentrum

Die drei Ausstellungsorte haben außer Cranach noch viele andere kulturelle Schätze zu bieten, schließlich ist Thüringen (und ganz Mitteldeutschland), wenn man es etwas pompös, aber zutreffend formulieren will, so etwas wie ein Epizentrum deutscher Geistigkeit. Eisenach etwa, Geburtsort und langjährige Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach, ehrt den musikalischen Genius mit einem Bach-Haus, die Wartburg - Anziehungspunkt für Künstler und Hauptstätte für deutsche Dichtung im 13. Jahrhundert - ist historischer Boden.

Das Herzogliche Museum in Gotha
Foto: KN

Das Herzogliche Museum in Gotha besticht mit einer einzigartigen Kunstsammlung; nur einen Steinwurf entfernt prangt das riesige Schloss Friedenstein derer von Sachsen-Coburg-Gotha mit einem der ältesten noch funktionstüchtigen Barocktheater der Welt. Bespielt werden darf es aus konservatorischen Gründen nur vierzehnmal im Jahr. Um schließlich den Klassikerhort Weimar auch nur ansatzweise kennenzulernen, könnte man getrost eine Woche einplanen.

Mit dem Cranach-Themenjahr ist das Erinnerungsgeschehen an die Reformation noch lange nicht zu Ende, im Gegenteil. Das wirklich große Gedenken steht erst 2017 an, wenn sich Luthers Thesenanschlag in Wittenberg zum 500. Mal jähren wird. (Christoph Winder, DER STANDARD, 2.5.2015)