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Mit Anfeindungen und Kritik umzugehen hat "Charlie Hebdo" gelernt.

Foto: Reuters/Wattie

Wenn der Autorenverband PEN am Dienstag den "Toni and James C. Goodale Freedom of Expression Courage Award" verleihen wird, wurde mit der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" ein würdiger Preisträger ausgezeichnet.

"Charlie Hebdo" hat sich nicht einschüchtern lassen, weder durch Druck, Drohungen und Klagen durch Vertreter von Politik und Religionen in der Vergangenheit, und auch nicht durch den islamistischen Mordanschlag auf die Redaktion am 7. Jänner. Mehr Mut und Einsatz für die freie Meinungsäußerung ist schwer vorstellbar.

Der Autor Jean-Baptiste Thoret, der nur überlebt hat, weil er zu spät zur Arbeit erschien, und Chefredakteur Gérard Biard werden die Ehrung entgegennehmen. Dabei werden sie sich auch mit massiver Kritik befassen müssen.

In einem Protestaufruf, der mittlerweile von mehr als 200 PEN-Mitgliedern (in der Liste finden sich nicht viele Namen, die man kennen muss) unterzeichnet wurde, wird die Verleihung an "Charlie Hebdo" scharf angegriffen. Der Aufruftext basiert jedoch auf Unwahrheiten und erweckt den Eindruck mangelnder Auseinandersetzung mit dem Wesen "Charlie Hebdos": Die Verfasser behaupten, die Cartoons würden antiislamische Strömungen verstärken und unterstellen den Satirikern damit eine rassistische Motivation. "Charlie Hebdo" hätte die Ungleichheiten der Bevölkerung beachten müssen; in einer Gesellschaft, die Muslime marginalisiere, würden sie aus einer privilegierten Position heraus agieren. Die viktimisierten Muslime müssten sich von den Cartoons beleidigt fühlen.

Übersehen wird dabei, dass die implizierte Forderung der Akzeptanz eines Abbildungsverbotes des Propheten Mohammed und die damit einhergehende Unterstellung, Muslime seien empfindlicher als der Rest der Bevölkerung, tatsächlich eine Diskriminierung darstellt, wie der ermordete Chefredakteur Stéphane Charbonnier in seinem posthum erschienen Buch "Lettre aux escrocs de l'islamophobie qui font le jeu des racistes" (Brief an die Gauner der Islamophobie, die das Spiel der Rassisten spielen) festhält. Den Unterzeichnern sei die Lektüre empfohlen, denn Charb dachte wohl an Personen ihrer Façon, als er vom "widerlichen Paternalismus der weißen linken bürgerlichen Intellektuellen" sprach.

Der Aufruf der Gegner der Preisverleihung ist in Wirklichkeit ein Ruf nach Zensur. Dass dieser Ruf ausgerechnet von PEN-Mitgliedern kommt, ist verstörend. "Charlie Hebdo" wird dies vermutlich weniger kümmern: Nach dem Mordanschlag musste sich die Redaktion ohnedies gegen zahlreiche Vereinnahmungsversuche diverser Gruppen vom rechtsextremen Front National bis zur islamfeindlichen Pegida wehren, mit denen sie sicherlich nicht in Verbindung gebracht werden will. Mit Anfeindungen und Kritik umzugehen hat "Charlie Hebdo" gelernt, und auf Applaus und Solidarität von falscher Seite können die Satiriker ohnehin verzichten. (Michael Vosatka, derStandard.at, 4.5.2015)