Vermutlich haben die Salzburger SPÖ und die ÖVP mit ihrem politischen Kalkül recht: Die Mehrheit der Salzburger wünscht die Bettler und Bettlerinnen aus der Stadt. Niemand ist gerne Tag für Tag mit dem nackten Elend konfrontiert - schon gar nicht vor der eigenen Tür.

Die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte freilich stößt bei einer mindestens ebenso großen Mehrheit auf Zustimmung. Wird es konkreter, ist aber bald Schluss mit lustig. Und so verweisen die Salzburger Stadtpolitiker am Sonntag gerne in salbungsvollen Worten auf den Status als Menschenrechtsstadt, um dann am Montag Bettelverbote zu erlassen. Dass der Verfassungsgerichtshof Betteln als Grundrecht anerkannt hat, interessiert dann weniger. Und dass Grundrechte schon per definitionem nur im Fall der Einschränkung der Grundrechte anderer aufgehoben werden können, ist in Salzburg augenscheinlich auch Nebensache.

Völlig egal ist der Stadtregierung jedenfalls, dass man 2008 mit viel Tamtam die "Europäische Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt" unterzeichnet hat. Denn anders als beispielsweise beim Status "Weltkulturerbe", den die Unesco - wie das Beispiel Dresden zeigt - bei schweren Verstößen sogar wieder aberkennen kann, gibt es für Verstöße gegen die Menschenrechte keinerlei Sanktionsmechanismen. Die in der Charta festgeschriebene Selbstverpflichtung, eine Evaluierungskommission einzusetzen, ist ein völlig zahnloses Instrument. (Thomas Neuhold, DER STANDARD, 5.5.2015)