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Das jüngste Erdbeben in Nepal zerstörte jahrtausendealte Kulturstätten wie den buddhistisches Swayambhunath-Stupa in Kathmandu aus dem fünften Jahrhundert.

Foto: AP / Niranjan Shrestha

Wien - 1755 legte ein Erdbeben Lissabon in Schutt und Asche und ließ ein großteils frommes Europa plötzlich an seinem Gott zweifeln. Heute verstehen wir zwar eine solche massive Erschütterung viel besser, aber wir können sie immer noch nicht vollständig begreifen: Jede verheerende Naturkatastrophe wie das jüngste Erdbeben in Nepal führt uns vor Augen, dass auch der aufgeklärte Mensch diesen Planeten immer noch nicht beherrscht und uns seine Kräfte jederzeit überwältigen können.

Die Erde zittert ständig

Heutzutage weiß man dennoch insoweit mehr, als man ein Erdbeben nicht mehr für den Zorn eines Schöpfers hält. Solche Erschütterungen sind leider buchstäblich der Lauf der Welt: Unter der Erdoberfläche verschieben sich die Kontinentalplatten - bis um mehrere Zentimeter im Jahr. Durch die Reibung zwischen den beteiligten Platten kommt es regelmäßig zu Brüchen, die Erschütterungen erzeugen.

Somit zittert die Erde eigentlich ständig, was wir meist aber gar nicht wahrnehmen. Wie sich ein Erdbeben vom diesem Prozess unterscheidet, erklärt Götz Bokelmann vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien: "Ein Erdbeben ist ein Deformationsereignis im Inneren der Erde, das so schnell geschieht, dass elastische Wellen ausgesendet werden. Die Schäden rühren aber kaum vom Beben selbst her: Der entscheidende Faktor sind die Erschütterungen an der Oberfläche, nicht der Bruch."

Wenn man versteht, wie etwas passiert, müsste man mutmaßlich auch vorhersagen können, wann es geschieht. Dazu sind laut Bokelmann aber auch versierte Wissenschafter nicht vollständig in der Lage: Erdbebenprozesse verlaufen nicht linear, und somit ist ein Bruchverhalten schwer zu prognostizieren. Zudem finden diese Verschiebungen so weit unter der Erdoberfläche statt, dass Messgeräte dort dem Druck und der Hitze nicht mehr standhalten.

Jedoch ist es nicht ausgeschlossen, die zerstörerische Wirkung eines Bebens rechtzeitig zu erkennen: Es sind vor allem die langsameren Oberflächenwellen, die die meisten Schäden erzeugen. Deshalb kann man versuchen, die schneller laufenden Raumwellen zu detektieren. Daraus lässt sich auf ein gerade aufgetretenes starkes Erdbeben schließen, das vermutlich auch die zerstörerischen, langsameren Oberflächenwellen ausgelöst hat. Das setzt aber voraus, dass die Entfernung zum Beben und somit der Zeitunterschied zwischen Raum- und Oberflächenwellen groß genug ist für die automatische Berechnung und darauffolgende Warnung. Natürlich benötigt man auch ein entsprechend gutes seismologisches Netzwerk. Wasserdichte Erdbebenprognosen sind aber weiterhin die größte Herausforderung in diesem Feld. Bokelmann: "Die Erdbebenvorhersage bleibt der Heilige Gral der Seismologie."

In der Grundlagenforschung, die der Wiener Wissenschafter und sein Team betreiben, geht es daher nicht um die exakte Vorhersage einzelner Erdbeben, sondern um die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben überhaupt - hier im Speziellen in der Region Wien.

Seismologische Kataloge

Der Blick in die seismologischen Kataloge ist dafür nicht ausreichend, da man hiermit nur etwa ein Jahrhundert zurückblicken kann. Aus diesem kurzen Zeitraum lassen sich aber noch keine gültigen Schlüsse ziehen, sagt Bokelmann: "Wir befinden uns hier in einer seismologisch aktiven Gegend. So wie sich in Nepal der indische Subkontinent an Asien annähert, trifft die Adriatische auf die Eurasische Platte. Das geschieht aber mit einer Konvergenzrate, die eine Größenordnung kleiner ist als zum Beispiel in Nepal. Somit findet bei uns alles seltener und langsamer statt."

Deshalb untersuchen die Forscher Tropfsteine, die ein erheblich größeres Gedächtnis haben: Die analysierten Stalagmiten wachsen über Tausende von Jahren und haben somit auch zahlreiche Erdbeben überlebt. Mithilfe ihrer Struktur soll ermittelt werden, ob auch hierzulande Beben der Stärke sieben auf der Richterskala und höher vorkamen. Das bisher stärkste bekannte Erdbeben ereignete sich laut der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, einer nachgeordneten Dienststelle des Wissenschaftsministeriums, 1590 im niederösterreichischen Riederberg mit einer Stärke von 5,75.

Ob der Mensch durch eigene Eingriffe wie zum Beispiel in Form des umstrittenen Frackings solche schwere Erdbeben auslösen kann, da möchte Bokelmann sich nicht festlegen: "Viele Kollegen meinen, dass das nicht passiert. Aber es ist im Zusammenhang mit Vorkommnissen in der Natur oft problematisch, ein Wort wie "niemals" zu benutzen."

Der Seismologe verweist auch darauf, dass Erdbeben nicht nur die Angelegenheit seines Fachbereichs, sondern ein interdisziplinärer Gegenstand sind, mit dem sich etwa auch Geografen und Soziologen beschäftigen. Das bestätigt sich auch in Form von Forschungsarbeiten anderer Institute, die aktuell in Österreich betrieben werden.

An der Universität Salzburg beschäftigt sich etwa der Interfakultäre Fachbereich für Geoinformatik mit Erdbeben. Im Allgemeinen arbeitet man hier an der räumlichen Ausprägung von Phänomenen und der entsprechenden Visualisierung in Form interaktiver Web-Map-Services. Wie man diesen Ansatz auf Erdbeben anwendet, erklärt der stellvertretende Leiter des Fachbereichs, Thomas Blaschke: "Gestützt auf Satellitenaufnahmen führen wir detaillierte Schadensanalysen durch und beobachten langfristig den Prozess der Wiederherstellung. In den letzten fünf Jahren haben wir vor allem die Auswirkungen des Bebens in L'Aquila von 2009 erforscht. Uns Geoinformatikern geht es somit nicht um die Vorhersage von Erdbeben, sondern vielmehr um ihre Auswirkungen sowie die Vor- und Nachsorge."

Die Vorsorge fällt natürlich auch in den Bereich der Bauingenieure. Für die Gebäudesicherheit ist ein Erdbeben schließlich eine Bedrohung. Das Austrian Institute of Technology (AIT) hat im Rahmen des Österreichischen Förderungsprogramms für Sicherheitsforschung Kiras vom Verkehrsministerium ein eigenes Verfahren entwickelt, um Gebäude auf ihre Erdbebensicherheit zu testen: Mit einem Schwingungsgenerator wird über eine um 45 Grad geneigte Stabkette eine schräge dynamische Kraft in das jeweilige Gebäude eingeleitet.

Auch Österreich ist gefährdet

Aus den Antwortschwingungen erkennt man die Eigenfrequenzen des Bauwerks und kann gezielte Maßnahmen einleiten, um die Erdbebengefährdung zu reduzieren. Hiermit wurden bereits das Parlament und diverse Spitäler untersucht.

Obwohl solche Erschütterungen in Österreich eher ungewöhnlich sind, sollten vor allem wichtige Bestandsbauten gewappnet sein, mahnt Rainer Flesch, Senior Scientist: "Wir haben zwar nicht solche Horizontalbeschleunigungen wie in anderen Ländern zu erwarten, aber auf 20 Prozent der Fläche Österreichs ist theoretisch ein schweres Erdbeben wie 1976 in Friaul möglich. Wir sind also keine Insel der Seligen." (Johannes Lau, 8.5.2015)