Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise und des immer noch wachsenden Arbeitslosenheeres möchte man meinen, in Italien gebe es andere Prioritäten als ein neues Wahlgesetz. Aber das stimmt nur zum Teil: Der Reformstau im Land ist nicht zuletzt eine Folge der chronisch instabilen politischen Verhältnisse in Italien. Genau dies will Matteo Renzi mit dem neuen Gesetz ändern: Es soll bei Wahlen zu klaren Mehrheiten führen und damit die Durchführung von Reformen erleichtern.

Premier Renzi ist dabei an die Grenzen des institutionellen Anstandes gegangen: Um die Diskussionen im Parlament abzuwürgen, hat er mehrfach die Vertrauensfrage gestellt. Ein solches Vorgehen ist unschön, wenn die Spielregeln der Demokratie neu geschrieben werden. Aber ohne diesen Kraftakt hätten die ewigen Bremser und Verhinderer im Parlament das Wahlgesetz genauso verwässert wie zuvor das neue Arbeitsgesetz.

Das neue Wahlgesetz wird die Stellung des Regierungschefs deutlich stärken. Renzi deswegen als "neuen Duce" zu bezeichnen, wie das einige getan haben, ist aber lächerlich: Weder ist der junge Premier von Allmachtsfantasien beseelt, noch wird in Italien wegen des neuen Wahlgesetzes die Diktatur ausbrechen. Renzi hat lediglich damit begonnen, sein Versprechen wahrzumachen: Italien zu verändern und zu modernisieren. Er tut dies teils zimperlich, aber immerhin tut er es - als Erster in diesem Jahrtausend. (Dominik Straub, DER STANDARD, 6.5.2015)